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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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sich die weiße Majestät nicht nur den unvergleichlichen Stranden des grünen Erin , sie dringt bis in die letzte Cottage im Moor vor, weit, weit in den Westen, wo Connaught beginnt, die Esel, von Liebe verzehrt, einander gute Nacht zubrüllen.
    Ich fuhr mit dem Auto quer durch Irland, von Dublin westwärts bis dorthin, wo die grünen Wogen auf einsame Strande schlagen, an jenem Tag, an dem der gute Papst Johannes im Sterben lag; mein Autoradio war kaputt, und so fragte ich unterwegs an Tankstellen, in Teestuben, an Zeitungs- und Zigarettenkiosken, auch dort, wo es das wunderbare irische Eis gibt (ein irischer Weltrekord, den ich wahrscheinlich übersah: den im Eisessen), und ich stellte fest: Irland war auf dem laufenden. Ich glaube, nirgendwo in der Welt sind die Bulletins so begierig, so erwartungsvoll mitgehört worden. Kurz vor Castlebar , in einer einsamen Kneipe am Wegesrand, abends gegen neun, wollte ich mich durch jenen Wundertrank stärken, der an den Ufern des Liffey gebraut wird, und als ich in die Kneipe kam, brauchte ich erst gar nicht nach dem Befinden des Papstes zu fragen. Die Tränen der bierzapfenden Wirtin, die Mienen der schweigend trinkenden Männer; ich wußte, daß diese weiße Majestät gestorben war. Noch einmal: unsere allgütige Mutter, die Kirche, braucht sich, glaube ich, nicht zu viele Sorgen zu machen um jenes Land, das ja eigentlich ihre älteste, ihre treueste Tochter ist, und immer noch treu, gallisch wie die eine, die den Titel hartnäckig für sich beansprucht und gar nicht mehr so treu ist.
    Es könnte in Deutschland (wo ja fast alles mißverstanden wird, weil die armen Deutschen so gar kein Selbstverständnis haben) mißverstanden werden oder als unlogisch erscheinen, daß diese treueste Tochter der Kirche das klassische Land der Streiks ist: die ausgefallensten Berufsgruppen — etwa Bankbeamte — kommen plötzlich auf die großartige Idee, durch Streik ihre Gehaltsforderungen durchzusetzen, und sie tun es mit jener Hartnäckigkeit, die dieselbe ist, die der irischen Revolution letzten Endes zum Sieg verhalf. Es ist schon ein verrückter Zustand, wenn in einem modernen Land mit moderner Geldwirtschaft Schecks für Wochen, Monate nur noch auf Treu und Glauben genommen werden können; wenn die einen — etwa Warenhäuser — zuviel Bargeld haben, das abends nicht mehr in die sicheren Banksafes gebracht werden kann; anderen etwa Autohändlern, die mit Bargeld arbeiten — das Bargeld auszugehen droht; es ist schon verrückt, wenn eine vollkommen moderne Geldwirtschaft sich plötzlich in eine Tauschhandels- und » Vertrau-mir-doch-Landsmann «-Situation versetzt, und es gehört zu den unlogischen Verrücktheiten, daß in einer geldwirtschaftlich so absurden Situation das sogenannte Geschäftsleben keineswegs zusammenbricht; Logiker mitteleuropäischer Prägung würden in weiser Voraussicht eine Katastrophe anmelden, die in Irland nicht eintrat; die Sache wird dann komisch, wenn — der Streik dauerte lange und brach, wie die meisten Streiks in Irland, gerade in der Reisesaison aus — dann plötzlich die Scheckbücher ausgehen, Reiseschecks nicht mehr zur Bank gebracht wurden; aber merkwürdigerweise »brach« da gar nichts »zusammen«, es entstand eine Art heiteren Nationalsports daraus, der den streikenden Bankbeamten den Rücken stärkte. Ein überwiegend katholisches Land also, in dem die Streiks gedeihen wie anderswo der Gehorsam. Jemand — aber das war bei der dritten pint — prophezeite mir für eins der kommenden Jahre einen Priester- und Nonnenstreik.
    Was mich am meisten hindert, über Irland irgend etwas »korrigierend« oder »ergänzend« zu schreiben: ich mag es zu sehr, und es ist nicht gut für einen Autor, über einen Gegenstand zu schreiben, den er zu sehr mag. Natürlich: es hat sich wirklich vieles verändert, und es sieht fast so aus, als hätten wir in den Jahren 1954 und 1955 Irland in jenem historischen Augenblick erwischt, wo es gerade anfing, eineinhalb Jahrhunderte zu überspringen und sich von fünf weiteren einholen zu lassen. Vielleicht kann ich mir aus der Klemme helfen, indem ich wenigstens eine Weglassung bekenne: daß es da ein weiteres Wort gibt, das Irland der Welt geschenkt hat: das Wort »lynchen«. Lob und Preis wäre zu spenden den irischen Frauen, die so hübsche Kinder zur Welt bringen; den irischen Zigeunern, den Fuchsienhecken — diese drei so sentimentalen wie freundlichen Rosenblätter will ich gern aus meinem Nähkörbchen
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