Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
Sie nicht auch Angst, Father ?«
    »Es ist nur der Regen«, sagte der Priester, »beruhigen Sie sich. Ich kenne das. Manchmal hab’ ich auch Angst. Zwei Jahre lang hatte ich eine kleine Pfarre, da unten zwischen Crossmolina und Newport , und es regnete oft wochenlang, es stürmte — nur immer die hohen Berge, dunkelgrün und schwarz — kennen Sie Nephin Beg?«
    »Nein.«
    »Dort in der Nähe war es. Regen, Wasser, Moor und wenn mich mal einer mitnahm nach Newport oder Foxford : immer Wasser — an Seen vorbei oder an der See .«
    Das kleine Mädchen klappte das Brevier zu, sprang auf die Bank, umklammerte den Hals der Mutter und fragte leise: »Werden wir ertrinken, wirklich ?«
    »Nein, nein«, sagte die Mutter, aber sie selbst schien nicht sehr überzeugt zu sein; von draußen klatschte der Regen gegen die Scheiben, der Zug stampfte mühsam in Dunkelheit hinein, schlich wie durch Wasserwolken. Das Mädchen aß lustlos ein belegtes Brot, die junge Frau rauchte, der Priester nahm sein Brevier wieder auf; nun machte er — wohl ohne es zu wissen — das kleine Mädchen nach, ließ aus seinem Gemurmel die Namen artikuliert herausklingen: Jesus Christ, Holy Ghost , Mary, dann klappte er das Buch wieder zu. »Ist Kalifornien wirklich so schön ?« fragte er.
    »Es ist herrlich«, sagte die Frau und zog fröstelnd die
    Schultern ein. »Auch Irland ist schön .« »Herrlich«, sagte die Frau, »wirklich, ich weiß — muß ich nicht raus ?« »Ja, auf der nächsten Station.«
    Als der Zug in Sligo einlief, regnete es immer noch; Küsse wurden unter Regenschirmen getauscht, Tränen unter Regenschirmen geweint; ein Taxichauffeur schlief über dem Lenkrad auf seinen verschränkten Armen; ich weckte ihn; er gehörte zu der sympathischen Sorte derer, die lächelnd erwachen. »Wohin ?« fragte er. »Zum Drumcliff Churchyard.« »Aber da wohnt doch niemand .«
    »Mag sein«, sagte ich, »aber ich möchte hin .« »Und zurück?« »Ja.« »Gut.«
    Wir fuhren durch Pfützen, leere Straßen: in der Dämmerung blickte ich durch ein offenes Fenster auf ein Klavier: die Noten sahen aus, als müßte der Staub fingerdick auf ihnen liegen. Ein Friseur stand gelangweilt in seiner Ladentür, schnippte mit der Schere, als wollte er sich Regenfäden abschneiden; vor einem Kinoeingang erneuerte ein Mädchen sein Lippenrot, Kinder mit Gebetbüchern unter dem Arm liefen durch den Regen, eine alte Frau schrie einem alten Mann über die Straße zu: » Haua , je, Paddy?« und der alte Mann schrie zurück: » I’m allright — with the help of God and bis most blessed Mother .«
    »Sind Sie ganz sicher«, fragte mich der Fahrer leise, »daß Sie wirklich zum Drumcliff Churchyard wollen ?«
    »Ich bin ganz sicher«, sagte ich.
    Auf den Hügeln ringsum lag verblichener Farn wie nasses Haar einer alternden Rothaarigen, zwei düstere Felsen bewachten den Eingang zu dieser kleinen Bucht: » Benbulben und Knocknarea «, sagte der Fahrer, als stelle er mir zwei weitläufige, gleichgültige Verwandte vor.
    »Da«, sagte der Fahrer und zeigte nach vorne, wo ein Kirchturm im Dunst auftauchte; Krähen flogen um den Kirchturm herum, Wolken von Krähen, die von weitem aussahen wie schwarze Schneeflocken. »Ich glaube«, sagte der Fahrer, »Sie suchen das alte Schlachtfeld .«
    »Nein«, sagte ich, »ich weiß nichts von einer Schlacht .«
    »Im Jahre 561«, fing er in mildem Fremdenführerton an, »wurde hier die einzige Schlacht geschlagen, die je auf der Welt um ein Copyright geschlagen wurde .« Ich sah ihn kopfschüttelnd an.
    »Es ist wirklich wahr«, sagte er, »die Anhänger von St. Columba hatten einen Psalter abgeschrieben, der St. Finian gehörte, und es gab eine Schlacht zwischen den Anhängern von St. Finian und den Anhängern von St. Columba . Dreitausend Tote — aber der König entschied den Streit; er sagte: ›Wie zu jeder Kuh das Kalb gehört, gehört zu jedem Buch die Abschrift.‹ Sie wollen also nicht das Schlachtfeld sehen?«
    »Nein«, sagte ich, »ich suche ein Grab .«
    »Ach«, sagte er, » Yeats , ja — dann wollen Sie sicher auch noch nach Inishfree .«
    »Ich weiß noch nicht«, sagte ich, »warten Sie, bitte .« Krähen flogen von alten Grabsteinen auf, krächzten um den alten Kirchturm herum. Naß war Yeats ’ Grab, kalt der Stein, und der Spruch, den Yeats sich hatte auf seinen Grabstein schreiben lassen, war kalt wie die Eisnadeln, die aus Swifts Grab heraus auf mich geschossen worden waren: Reiter, wirf einen kalten Blick
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher