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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal
Autoren: Gisbert Haefs
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PROLOG
    Die weißen Wälle des Landguts leuchteten durch die Bäume. Links kroch der Karren über die staubige Ebene. Schichten wabernder Luft verzerrten alles. Plötzlich sahen wir zwei riesige Pferde, die einen schwarzen Punkt zogen; dann einen gewaltigen Wagen, der im Himmel trieb, die Räder nach oben. Einige hundert Schritte entfernt gebückte Feldarbeiter, die zu dem kleinen Gut gehörten; sie würden uns kaum stören.
    Wir hatten nachts die Bucht erreicht, wie geplant; auf Bomilkar war wie immer Verlaß. Das Schiff lag hinter Felsvorsprüngen, vom Meer aus nicht zu sehen.
    »Bostar ist beinahe pünktlich.« Ich ließ mich wieder hinter dem Block nieder und grinste Bomilkar an. »Na, Kapitän?«
    Er strahlte; im dunklen Gesicht blitzten die Zähne. »Acht Jahre«, sagte er leise. »Mein Vater ist ein alter Mann.« Dann kicherte er. »Wie du, Antigonos.«
    Seit unserer Achtung und Flucht aus Qart Hadasht hatten wir nie wieder punischen Boden betreten. Die Bucht lag nicht weit von den Ruinen des Landhauses, in dem ich einen Teil meiner Jugend verbracht hatte. Vor acht Jahren war es, wie alle Besitzungen der Barkiden und ihrer Freunde, zerstört worden.
    »Wir sollten ihm entgegengehen. Uns kann hier wohl kaum etwas geschehen.« Ich wollte aufstehen.
    Iolaos zupfte an meiner Tunika und deutete in den Himmel hinter dem Karren: Staubwolken und in einer Spiegelung ein paar Reiter mit wehenden weißen Gewändern.
    »Numider!« Bomilkar sprang auf, ohne auf die Gesten des Kappadokiers zu achten. »Los, wir müssen hin. Ah, die Götter sollen Masinissa in Rattenscheiße ersticken!«
    Ich zögerte einen Moment, dann winkte ich den Männern.
    »Los! Geduckt, vielleicht sehen sie uns nicht.«
    Iolaos verzog das Gesicht. »Wie du willst, Herr.« Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff.
    Alte Männer sind schlechte Läufer. Ich hielt das Schwert in der Hand und ging hinterher, so schnell ich konnte. Bomilkar war bei den ersten; er schwenkte beim Rennen seine kretische Waffe. Die kappadokischen Bogenschützen liefen mit langen, federnden Schritten. Feldarbeiter – Männer, Frauen und Kinder – kamen uns entgegengerannt; sie schrien und stolperten.
    Ich versuchte schneller zu laufen. Das Herz, von acht Jahrzehnten müde, raste wie ein Tier im Käfig, und die Lunge schmolz zu einem kleinen Feuerball. Vor oder hinter meinen Augen kreiselten Bilder: Hamilkars Numider, die Reiter seines Schwiegersohns Naravas, hetzten flüchtende Söldner. Maharbals Numider galoppierten durch eine iberische Schlucht. Hannibals Numider, wirbelnde Gestalten, mit den leichten Pferden verwachsen, zersprengten schwere römische Reiterei, lösten deren Trupps zu tödlichen Strudeln auf. Aber dies hier waren die Reiter von Masinissa, König der Numider, Bundesgenosse Roms. Sie überfielen punische Gehöfte und Dörfer, verwüsteten den Boden, schnitten immer größere Stücke des lebenswichtigen punischen Hinterlandes ab. Und Qart Hadasht, gefesselt durch den Vertrag mit Rom, durfte keinen Krieg führen – nicht einmal in Libyen, nicht einmal zur Verteidigung.
    Aus einer Staubwolke rannte eine Frau. Ihre Haare wehten hinter ihr her. Sie kreischte. Der Mund war aufgerissen. Ich hörte den Schrei nicht, ich sah ihn. Der Reiter holte sie ein. Sie rannte mit ausgebreiteten Armen. Dann blinkte das Schwert, der Kopf flog zur Seite, der Körper rannte noch ein paar Schritte weiter. Ein anderer Numider trieb einen Mann vor sich her, der ihm Gesicht und Brust zuwandte. Der Mann stieß einen langen gurgelnden Schrei aus; mit den Händen umklammerte er den Schaft des Speers, dessen Spitze aus seinem Rücken ragte. Endlich ließ der Numider los, fast unwillig. Der Mann torkelte eine kurze Strecke, dann brach er zusammen. Er lag wenige Schritte vor meinen Füßen und schrie immer noch.
    Die Numider waren in breiter Linie angeritten; nun schwenkten sie ein, um den Mittelpunkt: den Wagen. Die Bogenschützen knieten in einem Halbkreis und schossen schnell, ruhig, sicher. Iolaos’ Stimme gellte durch das Geschrei, das Gewieher und den Kampflärm.
    »Die Pferde! Zielt auf die Pferde!«
    Das entschied das Gefecht. Die Männer hatten bis dahin den eigentlichen Feind beschossen, die Numider in ihren schmutzigweißen Gewändern; die Tiere waren größer und leichter zu treffen als die Reiter.
    Plötzlich, so schnell wie sie angegriffen hatten, rasten die Überlebenden davon. Es mochten vielleicht zehn oder zwölf sein; weitere zwölf lagen auf dem Boden, von Pfeilen
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