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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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day « — » wonderful day «: sehr komplizierte Einfachheit der Begrüßung in den Ländern, wo das Wetter ständig von Regengöttern bedroht ist, und sobald wir den Boden der kleinen Insel betreten hatten, schien es, als schlage die Zeit wie ein Strudel über uns zusammen; wie grün das Grün dieser Bäume und Wiesen ist, läßt sich nicht beschreiben; grüne Schatten werfen sie in den Shannon, ihr grünes Licht scheint bis in den Himmel zu reichen, wo die Wolken wie moosige Placken sich um die Sonne gruppiert haben; hier könnte das Märchen von den Sterntalern spielen. Grün wölbt sich über der Insel, und die Sonne fällt in talergroßen Scheiben über Wiesen und Bäume, liegt dort talergroß und talerblank, und manchmal hüpft ein Taler auf den Rücken eines wilden Kaninchens und fällt auf die Wiese zurück.
    Der alte Mann ist 88 Jahre alt, er ist aus dem Jahrgang Sun Yat Sens und Busonis, er wurde geboren, als Rumänien noch nicht war, was es schon lange nicht mehr ist: noch kein Königreich; er war vier Jahre alt, als Dickens starb — und er ist ein Jahr älter als das Dynamit; soviel nur, um ihn im schwachen Netz der Zeit zu fangen. Die Ruine, vor der er saß, war die einer Scheune aus dem Anfang unseres Jahrhunderts, aber fünfzig Schritte weiter stand eine aus dem sechsten Jahrhundert; hier baute St. Ciaran of Clonmacnoise vor vierzehnhundert Jahren eine Kirche. Wer nicht den speziellen Scharfblick des Archäologen mitbringt, wird die Mauern aus dem zwanzigsten nicht von denen aus dem sechsten Jahrhundert unterscheiden können; grün überglänzt sind sie alle, mit goldenen Sonnenflecken bedeckt.
    Ausgerechnet hier wollte George eine neue Farbfilmtechnik erproben, und der alte Mann — ein Jahr älter als das Dynamit — war zum Statisten ausersehen: mit der qualmenden Pfeife im Mund sollte er vor der untergehenden Sonne am Ufer des Shannon gefilmt werden, sollte ein paar Tage später dann auf amerikanischen Bildschirmen zu sehen sein, und alle Iren in den USA würden vor Heimweh feuchte Augen bekommen und dann zu singen beginnen: millionenfach vervielfältigt, von Schleiern grünen Lichtes umgeben, rosig von der untergehenden Sonne angestrahlt, und blau, sehr blau sollte der Qualm aus seiner Pfeife kommen — so sollte er zu sehen sein.
    Aber zuerst mußte Tee, viel Tee getrunken und viel erzählt werden, und die Besucher mußten ihren Tribut an Neuigkeiten entrichten; denn trotz Radio und Zeitung hat doch die Neuigkeit aus dem Mund dessen, dem man die Hand gedrückt, mit dem man Tee getrunken hat, sie hat das eigentliche Gewicht. Wir tranken den Tee im Kaminzimmer eines verlassenen Herrenhauses; der ständige dunkelgrüne Schatten der Bäume schien die Wände grün gefärbt, schien die Möbel aus der Dickens-Zeit mit grüner Patina überzogen zu haben: der pensionierte englische Oberst, der uns in
    seinem Boot herübergebracht hatte — mit seinem langen fuchsigen Haar, dem fuchsigen Spitzbart sah er aus wie eine Mischung von Robinson Crusoe und Mephisto — , übernahm die Führung des Gesprächs, und leider verstand ich sein Englisch nicht gut, obwohl er sich liebenswürdig bemühte, slowly , sehr slowly zu sprechen.
    Zunächst verstand ich von der Unterhaltung nur drei Worte: Rommel, war und fair, und ich wußte, daß Rommels Fairness im War eines der Lieblingsthemen des Obersten war; zudem wurde ich abgelenkt durch Kinder, Enkel, Urenkel des Alten, die ins Eßzimmer hineinschauten oder Tee, Wasser, Brot, Kuchen brachten (eine Fünfjährige kam mit einem halben Keks und legte ihn als Zeichen ihrer Gastfreundschaft auf den Tisch), und alle, Kinder, Enkel, Urenkel, hatten das spitze, dreieckig-verschmitzte , fast herzförmige Gesicht, das so oft als Wasserspeier von den Türmen französischer Kathedralen auf die emsige Erde herunterblickt...
    George saß mit der schußbereiten Kamera in der Hand und wartete auf den Sonnenuntergang, aber die Sonne zögerte an diesem Tag, mir schien, als zögere sie besonders lange, und der Oberst wechselte von seinem Lieblingsthema auf ein anderes über: er sprach von einem gewissen Henry, der im Krieg in Rußland ein Held gewesen zu sein schien: der Alte blickte mich mit runden, hellblauen Augen manchmal erstaunt fragend an, und ich nickte: Sollte ich jenem Henry, den ich nicht kannte, das Heldentum absprechen, das Robinson-Mephisto ihm zusprach?
    Endlich schien die Sonne bereit, wie die Regie es verlangte, unterzugehen, sie war dem Horizont näher gerückt, näher
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