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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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herausholen und meine Schwäche für sie bekennen. Zum Schluß schließlich muß ich noch einen Eisenbahnschaffner aus einem Pilgerzug erwähnen, dem wir viel verdanken. Es gibt in der englischsprechenden Welt ein Zauberwort, das einem sofortige und jegliche Hilfe garantiert: » stranded family «, und an diesem Sonntag befanden wir uns in diesem glückseligen Zustand, als mir plötzlich die Autobremsen total, total versagten, genau in dem Augenblick, als ich bergabwärts auf eine strahlende, lachende, muntere Horde von Jungen und Mädchen zufuhr, die zu einem Eselsrennen unterwegs waren; mit kindlicher Heiterkeit (wie hätten sie ahnen können, daß meine Bremsen hinüber waren!) liefen sie mir regelrecht ins Auto hinein, winkend und schreiend — und es blieb mir nichts anderes übrig, als gegen die nächstbeste irische Mauer und das Auto zu Bruch zu fahren, nachdem ich die » family «, die im nächsten Augenblick eine » stranded family « war, aufgefordert hatte, Deckung zu nehmen. Nun fahren aber in diesem merkwürdigen Land, das nicht nur ein Gefühl für Streik, auch offenbar eins für SABBATH hat, sonntags weder Züge noch Busse, und es blieb mir gar nichts anderes übrig, als dem Rat eines Passanten zu folgen und den Bahnhofsvorsteher von Claremorris um Plätze in einem der Pilgerzüge (denn die fahren natürlich!) zu bitten. Wir bekamen die Plätze, wurden mitsamt dem Gepäck in den Speisewagen komplimentiert, und so hörten wir bis Dublin durch den Lautsprecher eine Menge Rosenkränze, Betrachtungen, Predigten, Lieder; aber das war nicht so ungewöhnlich, ungewöhnlich war auch nicht die Tatsache, daß es mir gelang, dem Speisewagenkellner einige Fläschchen Whiskey abzuschwatzen (wir hatten ihn wirklich verdient: man fährt nicht jeden Tag freiwillig gegen eine Mauer!); ungewöhnlich waren die Fähigkeiten des Schaffners, der das Fahrgeld bei uns kassierte; er übte vier Tätigkeiten gleichzeitig aus: er bekreuzigte sich (im Zusammenhang mit dem Rosenkranzgebet), las in einer Zeitung, rauchte und kassierte Geld, alles gleichzeitig.
    Wahrscheinlich gibt es für einen, der Ire ist und schreibt, viel Ärgerliches in diesem Land, aber ich bin kein Ire, und ich habe Ärger genug mit dem Land, über das und in dessen Sprache ich schreibe, und auch der katholische Ärger in dem Land, dessen Sprache ich schreibe, genügt mir.
    (1967)
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