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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch
Autoren: Heinrich Böll
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»zweihundert Jahre alt, im Moor in Mayo gefunden« — schwebte vorbei wie der Klumpen Gold, den Hans im Glück verschmäht hatte; ein Polizist zeigte uns lächelnd sein Rainfall-Book , vierzig Tage hintereinander hatte er 0 geschrieben, eine ganze Kolonne von Eiern, und das blasse Mädchen mit dem grünen Hut in der Hand weinte immer noch auf der Treppe zur Bibliothek.
    Schwarz wurden die Wasser des Liffey , trugen als Treibgut Geschichte ins Meer hinaus: Urkunden, deren Siegel wie Senkbleie nach unten hingen, Verträge mit schnörkeligen Initialen, Dokumente, gewichtig von Siegellack, Holzschwerter, Kanonen aus Pappe, Leiern und Stühle, Betten und Schränke, Tintenfässer, Mumien, deren Bandagen sich gelöst hatten und, dunkel wie Palmwedel flatternd, sich durchs Wasser bewegten; ein Schaffner kurbelte aus seiner Fahrscheinmühle eine lange Papierlocke heraus, und auf den Stufen der Bank von Irland saß eine alte Frau und zählte Eindollarscheine, und zweimal, dreimal, viermal kam der Schalterbeamte der Hauptpost und sagte mit bekümmerter Miene hinter seinem Gitter hervor: Sorry .
    Unzählige Kerzen brannten vor der Statue der rothaarigen Sünderin Magdalena, ein Haifischwirbel schwamm an uns vorüber, einem Windsack glich er, schwankte, die Knorpelgelenke brachen auseinander, die Wirbelknochen rollten wie Serviettenringe einzeln in die Nacht und verschwanden; siebenhundert O’Malleys marschierten an uns vorüber, braunhaarige, weißhaarige, rothaarige sangen ein Preislied auf ihren Klan.
    Wir flüsterten uns Trostworte zu, hielten uns aneinander fest, fuhren durch Parks und Alleen, durch die Schluchten Connemaras , durch die Berge von Kerry, die Moore von Mayo, zwanzig, dreißig Meilen weit, fürchteten immer, dem Saurier zu begegnen, aber wir begegneten nur dem Kino, das mitten in Connemara , mitten in Mayo, mitten in Kerry stand: aus Beton war’s, die Fenster waren mit dicker grüner Farbe beschmiert, und drinnen schnurrte der Vorführapparat wie ein böses, gefangenes Tier, schnurrte die Monroe, den Tracy, die Lollobrigida an die Wand, auf grünen Schattenbahnen, immer noch den Saurier fürchtend, fuhren wir zwischen unendlich langen Mauern dahin, so weit von den Seufzern unserer Kinder entfernt, kehrten in die Dubliner Vororte zurück, an Palmen, Oleander vorbei, durch Rhododendronwälder , kopfabwärts ; immer größer wurden die Häuser, höher die Bäume, immer breiter die Kluft zwischen uns und den seufzenden Kindern; die Vorgärten wuchsen, bis sie so groß waren, daß wir die Häuser nicht mehr sehen konnten, und wir fuhren rascher in das zarte Grün unendlich großer Wiesen ein...
    Der Abschied fiel schwer, obwohl die rauhe Stimme der Wirtin am Morgen im Klirren des Tageslichts das Treibgut unserer Träume wie Gerumpel zusammenfegte, und obwohl das Tak-tak-tak-tak vom vorüberfahrenden Omnibus aus uns erschreckte, das Geräusch glich so täuschend dem eines schießenden Maschinengewehrs, daß es uns wie ein Vorsignal zur Revolution erschien, aber Dublin dachte nicht an Revolution, es dachte an Frühstück, an Pferderennen, Gebet und belichtetes Zelluloid. Die rauhstimmige Wirtin rief uns zum Frühstück, herzlicher Tee floß; rauchend saß die Wirtin im Morgenrock bei uns und erzählte von Stimmen, die sie nachts quälten, Stimme eines ertrunkenen Bruders, der nachts nach ihr rief, Stimme der verstorbenen Mutter, die an die Gelübde der ersten Heiligen Kommunion erinnerte, Stimme des verstorbenen Gatten, der vor dem Whiskey warnte: Trio von Stimmen, im dunklen Hinterzimmer gehört, wo sie den ganzen Tag über mit Flasche, Schwermut und Morgenrock allein war.
    »Der Psychiater«, sagte sie plötzlich leise, »behauptete, daß die Stimmen aus der Flasche kommen, aber ich hab’ ihm gesagt, er soll nichts gegen meine Stimmen sagen, denn schließlich lebt er davon. Sie«, sagte sie mit plötzlich veränderter Stimme, »Sie hätten nicht Lust, mein Haus zu kaufen? Ich lass’ es Ihnen billig.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Schade .« Kopfschüttelnd ging sie in ihr dunkles Hinterzimmer zurück, mit Flasche, Schwermut und Morgenrock.
    Vom Sorry des Schalterbeamten erschlagen, kehrten wir ins Nationalmuseum zurück, gingen von dort in die Gemäldegalerie, stiegen noch einmal in die dunkle Gruft zu den Mumien hinunter, die ein ländlicher Besucher dort mit kippered herrings verglich; letzte Pennies gaben wir für Kerzen aus, die vor bunten Heiligenbildern rasch verbrannten, gingen zu Stephen’s Green hinauf,
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