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Karl der Dicke beißt sich durch

Karl der Dicke beißt sich durch

Titel: Karl der Dicke beißt sich durch
Autoren: Werner Schrader
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    Karl der Dicke steckte das Brennglas, mit dem er sich soeben alle Fransen an seiner Nietenhose abgebrannt hatte, in die Tasche, seufzte aus Herzensgrund und ließ sich ins Gras zurücksinken.
    „Welcher freundliche Mitmensch hat mir denn ein Kissen unter mein edles Haupt gelegt?“ fragte er müde, weil sein Kopf eine so weiche Unterlage gefunden hatte. Da merkte er, daß er bis zu den Ohren in einem Maulwurfshügel lag und der Sand ihm in den Kragen rieselte. Langsam richtete er sich wieder auf, blickte seinen Freund Guddel Schmalz mit leidzerquältem Gesicht an und sagte: „Da siehst du es wieder! Selbst die Tierwelt hat sich gegen mich verschworen! Muß dieser schwachsinnige Maulwurf seinen Bauschutt ausgerechnet unter meinen Dauerwellen abladen? Hat er ringsum nicht die ganze Wiese zur Verfügung? Ich sag’ ja, wir leben in einem Jammertal. Man sollte sein Testament machen, das Vermögen unter die Armen verteilen und sich von dem Rest einen Sarg kaufen. Nichts lohnt sich mehr.“
    „Aber, Karlchen“, tröstete Guddel mitfühlend. „Du hast einen schlechten Tag heute! Morgen, wenn die Bauchschmerzen vorbei sind und du wieder alles essen kannst, ist dein Weltschmerz wie weggeblasen!“
    Karl wehrte ab.
    „Meine Bauchschmerzen haben nichts mit Essen zu tun“, sagte er. „Sie sind seelischer Art. Bauchschmerzen ist auch eine gänzlich unpassende Bezeichnung dafür. Es ist ein unsägliches Magenweh, verstehst du? Die Not der Völker, der Hunger der Welt und die Angst vor der Zukunft sind mir auf den Magen geschlagen.“
    „Das glaub’ ich dir gerne“, sagte Guddel, „aber die sieben unreifen Augustäpfel, die du gegessen hast, haben bestimmt ein bißchen mitgeschlagen.“
    „Keine Spur“, stöhnte Karl, „mein Magen verkraftet zwanzig von der Sorte, ohne die geringste Wirkung zu zeigen!“ Er verdrehte die Augen und legte sich auf den Bauch.
    Da tauchte Egon Langfuß hinter der Hecke auf. Er winkte den beiden Freunden zu, schmatzte so laut auf einem giftgrünen Apfel herum, daß Guddel eine Gänsehaut über den Rücken lief, und setzte sich genau vor Karl ins Gras.
    „Hallo, Leute!“ sagte er zur Begrüßung. „Habt ihr auch schon von Semkens erfrischenden Früchten genascht? Einsame Klasse, sag’ ich euch! Man kriegt einen ganz kleinen Mund davon, so sauer ist das Zeugs. Aber die vielen Vitamine wirken unerhört aufbauend. Hier hast du einen, Karl, pfleg dich! Und der ist für dich, Guddel!“
    Karl schob den Apfel von sich und schüttelte den Kopf. „Nun guck dir das an!“ wandte er sich an Guddel. „Der Junge atmet, bewegt sich, kaut wie ein Kannibale auf einem giftgrünen Apfel herum, haut sich ins Gras und tut, als ob nichts wäre! Sag mal, Egon, schämst du dich nicht? Möchtest du dir nicht hin und wieder selbst einen Fußtritt geben oder wenigstens vor dir aussspucken?“
    Egon unterbrach sein Schmatzen und starrte Karl den Dicken verblüfft an.
    „He“, rief er, „was ist mit dir, Dickerchen? Bist du mal wieder vom Stuhl gefallen, oder warum beleidigst du deine besten Freunde?“
    Karl wälzte sich auf die Seite und schloß schmerzvoll die Augen, ohne Egon zu antworten.
    „Was hat er denn?“ fragte Egon den still vor sich hin grinsenden Guddel.
    „Seelisches Magenweh“, erklärte der, „ein unwahrscheinlich schmerzhaftes Gebrechen.“
    „Ach so“, sagte Egon ohne jedes Mitgefühl. „Und ich dachte schon, es sei was Ernstes.“
    Da richtete Karl sich mühsam auf, warf dem langen Egon einen bedauernden Blick zu und flüsterte: „Was verstehst du schon vom Leid der Welt! Du wandelst dahin wie ein Blinder ohne Ohren und bemerkst nichts von dem, was um dich herum geschieht. Ich wette, du würdest es nicht mal wahrnehmen, wenn ich hier vor deinen langen Füßen meinen Geist aufgeben würde!“
    Egon zog zwei weitere Äpfel aus der Tasche und schlug sie heftig gegeneinander, um sie ein bißchen weicher und schmackhafter zu machen. Dann biß er in den einen hinein und hielt den andern seinem leidenden Freund vor die
    Nase.
    „Hier“, sagte er, „der ist spezialbehandelt und weich wie Butter! Wenn du den runtergemampft hast, denkst du nicht mehr daran, das bißchen Geist, das du hast, aufzugeben.“
    „Aber, Egon“, rief Guddel. „Semkens gallebitteres Edelobst ist bestimmt nicht die richtige Schonkost für einen Dahinsiechenden. Damit bringst du den armen Karl endgültig um. Wir waren doch vorhin auch schon in dem Apfelbaum und haben genascht. Dabei hat Karl sich ein
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