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10 Stunden auf der Jagd. Nur eine Plauderei

10 Stunden auf der Jagd. Nur eine Plauderei

Titel: 10 Stunden auf der Jagd. Nur eine Plauderei
Autoren: Jules Verne
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Jules Verne
    10 Stunden
    auf der Jagd
    Nur eine Plauderei
    Mit 50 Illustrationen von Gédéon Baril
    Titel der Originalausgabe:
    Dix Heures en Chasse. Simple boutade (Paris 1881/82)
    Nach zeitgenössischen Übersetzungen
    überarbeitet von Günter Jürgensmeier

    I
    Es gibt Leute, die Jäger nicht lieben, und vielleicht haben
    sie damit nicht ganz unrecht. Sollte es daher kommen, daß
    diese Herren keinen Abscheu davor empfinden, das Wild
    eigenhändig zu töten, bevor sie es verzehren? Oder rührt es
    nicht vielmehr daher, daß die genannten Jäger gar zu gern
    bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ihre er-
    staunlichen Heldentaten zu erzählen lieben? Ich neige mehr
    zu letzterer Ansicht.
    Vor nun 25 Jahren habe ich mich freilich der ersten je-
    ner Missetaten selbst schul-
    dig gemacht. Ich bin zur Jagd
    gewesen! Ja, ich habe gejagt!
    . . . Um mich dafür zu stra-
    fen, stehe ich hier im Begriff,
    auch die zweite auf mich
    zu laden, indem ich Ihnen
    haarklein alle Abenteuer je-
    ner Jagd berichte.
    Möge diese aufrichtige
    und wahrheitsgetreue Schil-
    derung meinen Mitmen-
    schen – der nicht so blutgie-
    rigen Sorte – für immer die
    Lust nehmen, der Spur eines
    Hundes nachkeuchend, die
    Jagdtasche auf dem Rücken,

    — 4 —
    die Patronentasche am Gurt und die Flinte im Arm über die
    Felder zu streifen.
    Doch ich gestehe, ich rechne blutwenig damit, fange je-
    doch auf jede Gefahr hin mit meinem Bericht an.
    II
    Ein phantasiebegabter Philosoph hat einmal irgendwo den
    Ausspruch getan: »Wünscht Euch niemals den Besitz eines
    Landhauses, eines Wagens oder feuriger Pferde oder auch –
    eines Jagdreviers! Immer finden sich dann gute Freunde,
    die Eures für sich zu benützen verstehen!«
    Gemäß der Anwendung dieses Axioms wurde auch ich
    eingeladen, meine ersten Waffentaten auf reservierten Ter-
    rains des Departements der Somme – also ohne ihr Eigen-
    tümer zu sein – zu verüben.
    Es war gegen Ende August 1859, wenn ich nicht irre.

    — 5 —
    Eine amtliche Bekanntma-
    chung hatte für den nächs-
    ten Tag den Auftakt der Jagd
    festgesetzt.
    In unserer guten Stadt
    Amiens, wo es keinen klei-
    nen Krämer, keinen Gewer-
    betreibenden irgendeiner
    Art gibt, der nicht eine alte
    Flinte besäße, mit der er die
    Landstraßen unsicher macht, wurde dieses feierliche Datum
    mindestens schon seit 6 Wochen mit Ungeduld erwartet.
    Die Profi-Sportsmen, die glauben, daß
    das Wild von Gott nur für sie herumläuft,
    genau wie
    die Schüt-
    zen dritter
    und vier-
    ter Klasse,
    die
    Ge-
    schickten ebenso, die treffen fast ohne zu zielen, wie die
    Ungeschickten, die sehr sorgsam zielen ohne zu treffen,
    endlich die Stümper par excellence, alle trafen gleich eifrig
    ihre Vorbereitungen für diesen großen Tag, rüsteten, ver-
    proviantierten und übten sich, dachten von nichts anderem
    als Wachteln, sprachen von nichts anderem als Hasen und
    träumten von nichts anderem als Rebhühnern. Frau, Kin-
    der, Familie, Freunde – alles war vergessen! Politik, Kunst,

    — 6 —
    Literatur, Ackerbau und Han-
    del – alles verschwand gegen-
    über den Vorbereitungen zu
    dem hochwichtigen Morgen,
    an dem diese Fanatiker sich
    dem hinzugeben trachteten,
    was der unsterbliche Joseph
    Prudhomme ein »barbari-
    sches Vergnügen« nennen
    zu müssen glaubte. Nun be-
    gab es sich, daß sich unter den wenigen meiner Freunde in
    Amiens ein leidenschaftlicher Jäger vor dem Herrn befand,
    zwar ein Beamter, aber ein ganz liebenswürdiger Junge. Ob-
    wohl er behauptete, etwas an Rheuma zu laborieren, wenn
    er ins Büro gehen sollte, war er doch jedesmal prächtig auf
    den Beinen, wenn ein 8tägiger Urlaub ihm gestattete, an der
    Eröffnung der Jagd teilzunehmen.
    Dieser gute Freund hieß Brétignot.
    Einige Tage vor dem großen Datum suchte Brétignot
    mich, der nichts Übles ahnte, einmal auf.
    »Sie waren noch niemals auf der Jagd?« sagte er mit ei-
    nem gewissen Ausdruck von
    Überlegenheit, die 2 Zehntel
    Wohlwollen auf 8 Zentel Ver-
    achtung enthält.
    »Niemals, Brétignot«, ver-
    sicherte ich, »es ist mir auch
    noch nie eingefallen, zu . . .«
    — 7 —
    »Dann kommen Sie doch mit mir zur bevorstehenden
    Eröffnung«, fiel mir Brétignot ins Wort. »Wir haben in der
    Gemeinde Hérissart 200 Hektar reservierter Gründe, wo
    es von Wild geradezu wimmelt. Ich habe das Recht, einen
    Gast einzuführen. Ich lade Sie also hiermit ein und werde
    Sie einführen.«
    »Ja, aber . . .«, versetzte ich zögernd.
    »Sie haben
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