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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid
Autoren: Felix Thijssen
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klingelte das Telefon. Eine joviale Männerstimme: »Hallo, hier ist Peter Brack. Und, haben Sie sich schon ein bisschen eingewöhnt auf dem Deich?«
    »So einigermaßen. Wie war noch Ihr Name?«
    »Ach, sag doch ruhig Peter zu mir, dann sage ich Max, das würde sich heute Abend ja sowieso ergeben, zumindest falls du Lust hast zu kommen.«
    »Kommen, wohin denn?«
    »Zur Party. Sie hielt das für eine gute Idee, dann kannst du auch gleich die anderen Deichbewohner kennen lernen.«
    Ein vages Gefühl der Unruhe beschlich mich. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, sagte ich. »Ich habe noch sehr viel zu tun.«
    »Ein Grund mehr, sich mal loszueisen.«
    »Ich weiß ja noch nicht einmal, wo Sie wohnen. Woher haben Sie meine Telefonnummer?«
    Der Mann lachte. »Hat Ingrid dir das nicht erzählt? Wir wohnen nur fünf Häuser weiter, direkt vor der kleinen Schleuse, auf der Flussseite. Geh einfach dem Lärm nach. So gegen acht?«
    »Mal sehen, was sich machen lässt«, sagte ich mit trockener Kehle. Irgendwann musste ich ja doch dran glauben. Vielleicht war das auch so ein Punkt für meine imaginäre Liste: In einem Dorf kommt man um die Nachbarn nicht herum. Ob das zu den Nachteilen zählte, würde sich zeigen, spätestens wenn ich heute Abend mit blutiger Nase, verfolgt von einem gehörnten Ehemann, über den Deich flüchtete. Vielleicht sollte ich meine Beretta mitnehmen.
    Die Bienen waren bereits zu Bett gegangen, als ich für die Gastgeberin einen Strauß Lavendel pflückte und zwei Rosen hinzufügte, in orangefarbenen Tönen, weil die roten mit ihrer knalligen Madonna-Lippenstiftfarbe für meinen Geschmack zu viel platte Symbolik ausstrahlten.
    Ingrid sah sexy aus in ihrem blauen Kleid, zu dem mein Strauß wunderbar passte. Sie rief fröhlich »Max!« und küsste mich auf die Wange. »Ich liebe Lavendel. Peter, das ist unser neuer Nachbar.«
    Peter Brack war ein kräftig gebauter, graublonder Michael-Douglas-Verschnitt mit einem eckigen Bürstenschnitt und einem sanften Lächeln. Er hatte bleiche Lippen und weiße, buschige, gerade Augenbrauen über wässrigen Augen, deren Farbe undefinierbar war. »Willkommen auf dem Deich«, sagte er mit einem Unterton, den ich mir womöglich einbildete.
    Ich befreite meine Hand aus seinem Griff, der sich übertrieben energisch anfühlte, als wolle er beweisen, dass sich hinter seiner schüchternen Ausstrahlung Stärke verbarg. »Ich danke Ihnen.«
    »Aber wir wollten uns doch duzen!«, sagte er bestimmt.
    »Ach ja, richtig. Aus welchem Anlass gebt ihr eigentlich die Party?«
    »Ingrid hat Geburtstag. Ich dachte, das wüsstest du.«
    »Nein, sonst hätte ich natürlich ein Geschenk für sie mitgebracht.«
    Ingrid strahlte, und es kam mir vor, als sende sie unablässig intime Botschaften aus.»Aber du hast mir doch schon etwas geschenkt«, sagte sie. »Schließlich wäre ich ohne dich vielleicht gar nicht mehr da.«
    Eine Frau in Moosgrün trat zu uns. »Übertreibst du nicht ein bisschen?«
    »Aber nein. Max, das ist meine Schwester Sigrid.«
    Ich ergriff ihre schlaffe Hand. Sigrid war derselbe blonde Typ wie ihre Schwester, nur ein paar Jahre älter. Während Ingrid ihr Abenteuer ausschmückte, musterte sie mich mit kühlen Blicken, etwa so, wie sie vielleicht eine zu Boden gestürzte Krähe auf einem verschneiten Bergplateau studiert hätte. »Max hat mich in letzter Sekunde rausgeholt, ich war von oben bis unten voller Schlamm und durfte seine Badewanne benutzen.«
    »Ein netter Mann also«, sagte Sigrid unbeteiligt.
    »Hast du dein Boot inzwischen wieder zurückbekommen?«, fragte ich Ingrid, um mich aus dem Sumpf der Zweideutigkeiten zu befreien.
    »Peter hat es zwei Kilometer flussabwärts gefunden und nach Hause gebracht.«
    »Auch ein netter Mann also.« Ich hatte immer mehr den Eindruck, dass Sigrid irgendetwas nicht passte.
    »Sigrid klingt nach kühlen skandinavischen Fjorden«, bemerkte ich.
    Sie lächelte schon lange nicht mehr. »Wir haben eine norwegische Großmutter.«
    »Wohnst du auch auf dem Deich?«
    »Nein.«
    »Sie wohnt in Tiel.« Peter erwachte aus einer Art Betäubung. »Die Blumen brauchen dringend Wasser.« Er griff nach meinem Strauß, den Ingrid an die Brust gedrückt hielt. Sie ließ ihn mit einer nachgiebigen Geste los, und ihr Mann verschwand damit durch eine Seitentür.
    Ingrid lächelte mir viel sagend zu und nahm mich am Arm. Ich fühlte die Augen ihrer Schwester auf mir ruhen, als das Geburtstagskind mich auf die mit Blumenkästen geschmückte
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