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Stillmanns Münzen (German Edition)

Stillmanns Münzen (German Edition)

Titel: Stillmanns Münzen (German Edition)
Autoren: Christian Sidjani
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I
     
    Was bietet sich besser an, als zu erzählen, wie ich die Münze fand? Dazu möchte ich erwähnen, sie liegt jetzt neben mir, auf dass ich sie mir wieder genauer anschaue. Im täglichen Gebrauch schaue ich nie lange auf sie. Nur für die Antwort, Kopf oder Zahl, schnell, schnell, so wie vor einer halben Stunde, als ich sie befragte, ob ich von ihr berichten soll. Es ist das erste Mal, dass ich ihr diese Frage stellte.
    Meine Münze ist größer als mein Daumennagel, in etwa so groß wie mein Fußnagel, aber ich habe keine Lust, das zu überprüfen. Ich mag meine Füße nicht.
    Sie ist ein ,Quarter Dollar'. Man kann nicht viel dafür kaufen, in diesem Land sowieso nicht, aber für mich ist sie das Wertvollste, das ich je besessen habe. Auf der einen Seite ist ein Adler eingestanzt, das amerikanische Wappen, und ihr gegenüber findet man das Konterfei eines ehemaligen Präsidenten. Washington, glaube ich, aber da kenne ich mich nicht so aus. Die Münze ist aus dem Jahre 1973. Einem Jahr, mit dem ich eigentlich nichts verbinde, und winzig steht dort das Bekenntnis, Gott zu vertrauen. Aber ich vertraue dir, kleine Münze, du kennst die Antworten, bevor ich sie auch nur erahne.
    Etwas ist unheimlich an der Münze, ein Detail, das wohl nur die Einwohner in Europa bemerken. Drehe ich sie von links nach rechts um, steht die andere Seite Kopf. Als wäre eine Antwort unmöglich, weil der Werfer nicht weiß, ob er das Negativ der eigentlichen Antwort als Ergebnis sieht, wie bei umgedrehten Karten beim Tarotlegen.
    Das verwirrte mich zu Beginn, bis ich für das Problem eine einfache Lösung fand: Da ich die Fragen stelle, darf ich selbst entscheiden, wie sie beantwortet werden. Zahl ist Zahl, Kopf ist Kopf, ein einfaches Ja oder Nein. Schon als ich sie fand war mir das klar. Als hätte ich das nicht entschieden sondern die Münze. Dass die Zahl, also der Adler, immer für das Ja steht. Denn ein Vogel sucht in der Weite der Welt nach Abenteuern, während der Kopf für das Brüten über Negiertes steht.
    Warum war es ein Nein? Immer der Kopf, nicht wahr? Es ist immer der Kopf, der mich fickt. Die Münze hilft dabei, es nicht so weit kommen zu lassen. Sie nimmt mir die Entscheidungen ab.
    Ich bin mir bewusst, dass ich so mein Leben gar nicht selber lebe, sondern stets in meinen Entscheidungen geführt werde. Man könnte behaupten, ich sträube mich, Verantwortung zu übernehmen. Doch nach allem, was war, habe ich es satt, mich zu täuschen oder enttäuscht zu werden. Die Antwort der Münze hat mich noch nicht enttäuscht. Ich spüre, das wird sie auch nicht, aber ich erzähle es niemandem. Wer versteht mich schon? Für mich ist die Münze ein Geschenk, das mir endlich den richtigen Weg weisen soll.
    Und alles begann mit meinem Job im Kino.
    Warum eigentlich im Kino? Nach so vielen Jobs, die weitaus lukrativer hätten sein können nach meinem Studium? Weil ich es einfach nicht mehr aushielt in dieser auf Geld fixierten Welt. So wollte ich mich dem Einzigen zuwenden, das mir schon in meiner Kindheit die schönsten Momente bescherte: Filme.
    Seit ich denken kann, bilden Filme meine Ersatzwelt, und nun verdiene ich mein Geld damit, anderen diese Ersatzwelt zu bieten. Im Kino fühle ich mich wohl. Es war wie ein Nach-Hause-Kommen. Auch weil dort genau so sozial gestörte Menschen arbeiten, wie ich einer bin, sozial verstört wohl eher, und ohne einem echten Ziel im Leben außer dem zu überleben. Ich mag den Gedanken, in einer von der großen Welt abgeschotteten, eigenen Welt zu arbeiten. Aber die Welt, von der ich spreche, meine Welt (auch wenn Filme von anderen gemacht sind, war es immer meine Welt), ist keine des Friedens. Ich flüchtete nicht in Komödien oder einfache Unterhaltungsfilme, sondern in Horrorgeschichten. Dabei stellte ich mir vor, ich sei der Held, der das Böse bekämpft und am Ende die Frau bekommt. Es war so, als ob ich die gefühlte Kälte unserer Gesellschaft mit einer noch viel grausameren Welt kompensieren musste. Eine Zeitlang brauchte ich stets eine Steigerung, noch blutiger und brutaler, bis ich irgendwann nichts mehr verspürte, weil ich meinte, alles schon gesehen zu haben. Ich war zwanzig Jahre alt, als ich damit begann, selber Geschichten zu schreiben. Aber nicht, weil ich kopieren oder Gesehenes nacherzählen wollte, sondern weil sie einfach da waren. 
    Es war der Tod, der mich schon immer faszinierte und der Wunsch, nicht mehr hier zu sein, kam ein manches Mal in meinen Kopf. So schritt er eines
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