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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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gewesen als Fußfäule und Erkältung. Die Alpträume hatten eine reinigende Wirkung gehabt. Was auch immer. Es war vorbei.
    „ Na das!“
    Sie hielt mir die Sandalen so nah unter die Nase, dass ich einen Hauch von säuerlich verschwitztem Leder riechen konnte. Die Metallschnallen an den Riemen waren von einem Gemisch aus Rost und einem undefinierbarem kobaltblauem Belag bedeckt. Ich kapierte erst mal gar nichts.
    „ Wieso waren die denn überhaupt im Heizungsraum?“
    „ Weil ich sie dort ausgezogen habe.“
    Ich wuchtete eine Zweiliterflasche Cola aus dem Kühlschrank. Es zischte und brodelte, als ich sie öffnete.
    „ Das Leder ist so ausgedorrt als sei es patschnass durchweicht gewesen und dann viel zu schnell getrocknet. Nicht aus der Flasche!“
    Ich hatte schon angesetzt, ließ den Humpen wieder sinken und streckte mich nach einem Glas im oberen Küchenschrank.
    „ Also?“
    Weil ich nicht beim Trinken die Latschen anschauen wollte, drehte ich mich halb von ihr weg.
    „ Wo ist denn eigentlich das Problem?“, fragte ich widerwillig, als ich ausgetrunken, halbwegs unterdrückt gerülpst, schnell „tschuldigung“ gemurmelt und mir den Mund abgewischt hatte.
    „ Wo das Problem ist? Du bist mit neuen Sandalen losgefahren, und jetzt sehen sie aus wie vom Sperrmüll. Angeblich hast du nur eine Runde gedreht. Stell bitte die Cola wieder in den Kühlschrank, ja.“
    Da ich nicht sofort reagierte, stellte sie die Flasche selbst zurück.
    „ Zieh’s mir meinetwegen vom Taschengeld ab. Ich geh sowieso bald jobben. Und so neu waren die auch nicht mehr.“
    „ Es geht doch hier nicht um Geld.“
    „ Ach nicht? Worum denn dann?“
    Sie setzte ein enttäuschtes und zugleich mütterlich-versöhnliches Gesicht auf.
    „ Um Vertrauen, Sebastian.“
    Ich schaute sie an und meinte zu sehen, dass es ihr wirklich nicht um die übliche Zurechtweisung zum Zwecke der Selbstwiederaufrichtung nach allabendlichem Ehekrieg ging.
    „ Weißt du was? Es kommt vor, dass man etwas tun will, es wirklich vorhat, aber sich dann unterwegs ganz anders entscheidet. Das nennt man einen freien Willen haben.“
    „ Na gut.“
    Ich war im Begriff die Cola wieder aus dem Kühlschrank zu holen.
    „ Nicht noch ein Glas. Du hast noch nicht zu Mittag gegessen. Und du solltest das, was man freien Willen nennt, nicht mit Sprunghaftigkeit verwechseln.“
    „ Alles klar. Wo ist das Essen?“
    Sie zeigte zum Herd.
    „ In dem Topf da. Und bekomme ich nun eine Antwort?“
    Ich holte mir einen Löffel aus dem Besteckschub und hob den Deckel. Gemüseeintopf mit Fleischeinlage. Vom ersten Löffel voll tropfte auf dem Weg zu meinem Mund ein Spritzer auf den Herd.
    „ Sag mal...!“
    Ich kaute, schluckte und schaute sie an. Ihr Blick sagte: Iss nicht aus dem Topf! Mach erst mal wieder warm! Dann nimm dir einen Schöpflöffel und einen Teller! Und setz dich hin zum Essen! Wisch vorher den Klecks vom Herd! Wieso überhaupt kommt kein Protest und Genörgel, wo du doch Gemüseeintopf nicht ausstehen kannst?
    Letzteres konnte ich mir auch nicht erklären.
    „ Spionierst du mir nach?“
    „ Wie bitte?“
    In Gedanken noch bei ihren essensbezogenen Imperativen, wusste sie mit der Frage wirklich nichts anzufangen. Ich zeigte auf die Schlappen.
    „ Die waren in der Heizung ganz im hintersten Eck hinter dem Kessel.“
    „ Na und?“
    Ich nahm mir den nächsten Löffel, diesmal ohne zu tropfen.
    „ Ich mein ja nur. So ganz kannst du eben doch nicht aus deiner Haut.“
    Sie schüttelte den Kopf.
    „ Weißt du was...“
    Sie biss sich auf die Lippen, drehte sich um und war mit zwei Schritten aus der Küche. Ich hörte, wie sie die Schlappen im Flur fallen ließ und die Treppe hoch stürmte.
    „ Mama!“
    Plötzlich tat mir alles so leid. Für einen Moment durchschaute ich das Scheingefecht und bereute meine Rolle darin. Verflixte Stereotypen. Aber diesmal war ich zu weit gegangen und aus meiner teenagertrotzigen Verteidigungshaltung ausgebrochen. Irgendwas war anders.
    Mehr als nur irgendwas war anders. Der Gemüseeintopf schmeckte mir, ich wollte mehr. Aber keine Cola dazu, das Zeug tat mir wirklich nicht gut. Ab heute Mineralwasser. Ich fühlte mich so stark. Unkaputtbar. Unabblitzbar. Plötzlich wusste ich, was zu tun war.
     

    „ Hey, Myriam, ich bin’s, Sebastian.“
    Schweigen am anderen Ende. Ich schmunzelte, weil ich mir ihre Verblüffung vorstellen konnte. Wie es in ihrem Kopf auf der Suche nach einer angemessenen Reaktion drunter und drüber
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