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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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1.000 Nadeln durchbohrt. Es bitzelte und stach an jedem Quadratmillimeter Haut an den Sohlen und Zehen bis hinauf zu den Fesseln.
    Wenn ich die Beine bewegte, hob das feurige Stechen ab wie ein ausweichender Mückenschwarm, aber kaum kamen die Füße zur Ruhe, stürzte sich die blutsaugende Woge mit ihren Millionen Stechrüsseln wieder auf die Haut und pikste sich fest. Es war zum Wahnsinnigwerden.
    Aber so unerträglich es sich anfühlte, ich meinte es als heilsamen Schmerz zu erkennen und schloss aus, deswegen womöglich den Notarzt zu rufen, um meine vermeintlich sterbenden Füße zu retten. Es würde vorübergehen. Ich versuchte, die Beine unter der Bettdecke stillzuhalten und das Prickeln an den Füßen zu ignorieren.
    Nicht zu ignorieren war das Gefühl einer fiebrigen Erkältung in Brust- und Rachenraum. Schon als ich mit Einbruch der Dämmerung mit meinen patschnassen Sandalen zu Hause angekommen war, hatte ich das charakteristische trockene Ziehen im Bereich zwischen Nase und Gaumen gespürt, mit dem sich jeder bereits unabwendbare Schnupfen bei mir ankündigte.
    Ich schlich von der Garage zum Hintereingang des Hauses, der ein paar Treppenstufen hinab direkt in den Kellerbereich führte. Jetzt bewährte sich meine Schlüssel-Manie: Unter dem klimpernden Durcheinander versteckte sich auch einer der Kellerschlüssel. Ich fand ihn nach ein bisschen Herumprobieren, sperrte auf und von innen wieder zu und schaffte es unbemerkt in den Heizkesselraum, wo ich im hintersten Eck meine Sandalen versteckte. Bis meine Mutter die finden würde, wären sie längst trocken, und damit würde mein kleines Schnee-Abenteuer unbemerkt bleiben. Ich durfte nur keine Erkältung bekommen.
    Auf dem Weg vom Keller in den ersten Stock zu meinem Zimmer hörte ich laute Stimmen durch verschlossene Türen. Die dauernde Streiterei meiner Eltern war mir längst egal geworden, und an diesem Abend klang das Gekeife direkt erlösend für mich. Die waren beschäftigt und an mir nicht interessiert. Wenn meine Mutter irgendwann im Lauf des Abends auf die Idee kommen würde, sich mit mir zu befassen, konnte ich ihr jedes beliebige Märchen auftischen. Sie würde schlicht zu erschöpft und entnervt sein, es anzuzweifeln.
    Ich erreichte das Badezimmer, sperrte von innen zu, zog mich rasch aus und warf meine feuchten Sachen in den Wäschekorb. Gut getan hätte jetzt ein heißes Bad, aber das wäre zu verräterisch gewesen, da ich normalerweise nie badete. Also beließ ich es beim Duschen.
    Unter dem heißen Wasserstrahl fühlte sich meine Nase wieder normal an, der Dampf ließ die Schleimhäute abschwellen. Als ich abgetrocknet und in eine frische Jeans gestiegen war, schien sich die Prophezeiung erfüllt zu haben: Es ging mir bestens.
    Vorsichtshalber schluckte ich trotzdem drei Vitamintabletten und verpasste mir eine Ladung Nasenspray. In der Küche fand ich lauwarme Spaghetti und schlang sie hinein, während die Streiterei zwei Räume weiter immer müder und verbitterter wurde und irgendwann versiegte.
    Ich lag zappend auf meinem Bett, als meine Mutter den Kopf zu ihrer allabendlichen Spätvisite hereinsteckte. Sie fragte nicht mal, was los war, sagte nur Gute Nacht und verschwand wieder. Da hatte das Piksen in den Füßen schon begonnen, und mein Brustkorb fühlte sich heiß und fiebrig an.
    Ich machte den Fernseher aus, löschte die Lampe an meinem Nachtschränkchen und starrte an die Decke. Durch die Gardinen fiel Mondlicht herein. Ich sah jeden einzelnen Raufaserbuckel an der Decke, versuchte das Pritzeln und die Halsschmerzen zu ignorieren und zu begreifen, was da heute passiert war.
    Ein Scherz. Das konnte nur eine Scherzbotschaft gewesen sein. Nun hatte der unbekannte Lümmel, der die armen Dauerbesucher Stubenfeuer-Schmidt mit blöden Sprüchen in ihrem schönen Buch piesackte, auch mich aufs Korn genommen. Wahrscheinlich war er gerade am Moorteich vorbei Richtung Schlossruine gewandert, als ich auf dem Damm im Schnee herumturnte. Er war dann, statt mir zu helfen, vorausgelaufen und hatte den Eintrag im Buch gemacht, um mich zu erschrecken. So musste es gewesen sein. Zufällig war sein Plan aufgegangen, aber ich hätte ja auch einen ganz anderen Weg nehmen oder am Rastplatz vorbeifahren können, ohne im Buch zu lesen.
    Nein, so konnte es nicht gewesen sein. Woher hätte er wissen sollen, dass ich SeFo war? Vielleicht war er mal an der Friedrichsruh angekommen, als ich gerade davonfuhr, und hatte vom letzten Eintrag im Gästebuch auf mich
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