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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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    Gut möglich, aber der Eintrag zum Thema Füße stammte vom November – wie hatte er im November wissen können, was mir heute, vier Monate später, passieren würde?
    Das war natürlich Quatsch. Ganz sicher hatte er das heute geschrieben und nur eine Lücke zwischen den Novembereinträgen dafür genutzt, um mich zu verwirren. Indes ließ das Duo Stubenfeuer-Schmidt niemals Lücken. Die trugen sich grundsätzlich akkurat eine Zeile unter dem Vorbesucher ein – und in dem Fall waren sie sogar auf sein Geschreibsel eingegangen. Außerdem: Der Text hatte wortwörtlich meine Gedanken aufgegriffen.
    Na und, die Worte Mordsschnupfen und Blödsinn passen nun mal perfekt auf die Lage, in die ich mich gebracht hatte, und er oder sie konnte sich denken, dass ich hoffte, die Sache würde gut für mich ausgehen.
    Er oder sie aber hatte prophezeit, es würde gut ausgehen. Und lag damit leider gründlich daneben, denn ich glühte, erste rasselnde Hustenkrämpfe schüttelten mich, und meine Füße fühlten sich an als würde mir die Haut bei lebendigem Leib von den Knochen genagt. Ich erinnere mich noch, dass ich schließlich doch mit dem Gedanken spielte, meine Eltern zu wecken. Lieber eine Dummheit eingestehen als vom Fieber dahingerafft zu werden oder die Füße amputiert zu bekommen.
     

    Zwischen diesem Gedanken und der nächsten Erinnerung war noch irgendwas. Ich musste pinkeln gewesen sein in einem Bewusstseinszustand irgendwo zwischen Halbschlaf und Wachtraum.
    Das Klo im ersten Stock unseres Hauses lag schräg gegenüber von meinem Zimmer. Meine Mutter nutzte, wenn sie nachts mal musste, die Gelegenheit, auf dem Weg zum Bad kurz in mein Zimmer zu spitzen, ob alles in Ordnung sei. Mich nervte das. Sie hatte zwar versprochen, darauf zu verzichten, als ich sie mal dabei erwischt hatte, aber ich wusste, dass sie es immer noch tat.
    Ich hatte schon darüber nachgedacht, ihr mal aufzulauern. Neben der Klotür war eine Nische, eine Art blind endender Abzweig von vielleicht einem halben Meter Tiefe, der für allerlei Abstellkram genutzt wurde, und in dieser Nische hätte ich lauern und sie anspringen können, wenn sie mal wieder heimlich meine Tür öffnete und so tat als sei ich ein Baby.
    In dieser Nacht lauerte in der Nische etwas auf mich. Etwas Geducktes, Qualliges, Wabbliges, Schleimiges. Etwas Blaues. Ich drückte sofort auf den Lichtschalter neben meiner Zimmertür, und natürlich war da nichts in der Nische neben der Klotür, gar nichts - nicht mal der Staubsauger, den meine Mutter dort gelegentlich parkte, wenn sie oben putzte und nicht gleich in mein Zimmer kam, weil ich gerade lernte.
    Ich erinnere mich, aufs Klo gegangen zu sein, dann wieder in mein Zimmer, ohne das Licht im Flur zu löschen. Ich ließ es ganz bewusst an, um dem blauen Ding in der Nische keine Möglichkeit zu geben, mich im Dunkeln anzuspringen. Am nächsten Morgen war das Licht aus. Aber vielleicht hatte ich diese nächtliche Begebenheit sowieso nur geträumt.
    Was dann allerdings folgte, noch in dieser Nacht, ist mir so detailgetreu und wuchtig in Erinnerung, dass ich es unmöglich geträumt haben konnte.
    Ich musste wieder eingeschlafen sein. Jedenfalls riss mich etwas aus dem Schlaf. Etwas stand neben meinem Bett, bereit, in mich einzudringen und sich mit der Krankheit in mir zu paaren. Ich spürte das Fieber in Sekundenschnelle hoch schießen, meine Halsentzündung sich öffnen und strömend bluten. Ich schnappte nach Luft mit einer Lunge, die keine Luft mehr verarbeiten konnte, so voll Eiter war sie. Alles in dem Bruchteil Zeit des Erwachens.
    Die Krankheit gab mir einen Eindruck, wie es wäre, an ihr zu sterben, dann sprang sie davon. Als ich wach war, den Lichtschalter gedrückt hatte, aufrecht und keuchend in mein nächtlich ruhiges Zimmer starrte, war der scheußliche Gast an meinem Bett verschwunden und hatte alle Krankheitssymptome mitgenommen, absolut alle.

Kapitel 3: Die Verweigerung
     

    Dennoch hatte die Sache ein Nachspiel für mich, was meine Mutter betraf. Sie hielt mir, als ich am nächsten Mittag von der Schule kam, meine Sandalen entgegen und fragte:
    „ Kannst du mir das erklären?“
    „ Was denn?“
    Ich wusste im ersten Moment wirklich nicht, was sie wollte, und ich hatte auch keine Lust, mich damit zu befassen. Ich war mit dem Weckerklingeln um 6.30 Uhr ausgeschlafen und gesund erwacht. Kein Piksen in den Füßen, kein Kribbeln in der Nase, kein Kratzen im Hals. Es war ausgestanden. Ich war stärker
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