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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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den?“
    „ Weil du mit dem immer im Pausenraum abhängst. Aber ich hab euch noch nie... Na, du weißt schon.“
    „ Vielleicht geht mein Freund ja gar nicht auf unsere Schule. Also, wer hat nun Schluss gemacht und warum?“
    „ Du hast gar keinen Freund, stimmt’s?“
    Sie schaute kurz zu mir herüber und dann wieder nach vorn.
    „ Was war das überhaupt für eine blöde Anmache: zusammen zum Abi-Ball gehen.“
    Ich verbiss mir ein allzu überschwängliches Grinsen.
    „ Hat doch funktioniert.“
    Wieder kam eine Weggabelung, wieder zog ich nach links.
    „ Du bist unmöglich. Wo laufen wir überhaupt hin?“
    „ Zur Friedrichsruh.“
    Sie blieb abrupt stehen.
    „ Da will ich aber nicht hin.“
    „ Wieso nicht?“
    „ Weil es da unheimlich ist.“
    Ich war ein paar Meter weitergelaufen, dann ebenfalls stehengeblieben und hatte mich umgedreht. Verblüfft schaute ich sie an und ging zu ihr zurück. Mit der bloßen Erwähnung des Namens war alles anders geworden. Das Joggen auf diesem Weg war nicht nur unterbrochen, sondern zu Ende.
    „ Unheimlich? Meinst du Gespenster?“
    Obwohl ich ernsthaft interessiert fragte, winkte sie ab, als habe ich sie aufziehen wollen, aber ich sah ihr an, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.
    „ Da hinten treiben sich lauter Spinner und Abartige herum.“
    „ Quatsch, da ist bloß ein Wanderer-Rastplatz.“
    Sie schüttelte den Kopf und machte ein paar angedeutete Schritte rückwärts.
    „ Laufen wir lieber über den Pavillon, da ist der Wald auch nicht so dicht.“
    „ Aber...“
    „ Na komm schon, bitte.“
    Ohne meine Reaktion abzuwarten, drehte sie sich um und lief den Weg zurück. Mir wurde mulmig zumute, und nach einem Schulterzucken folgte ich ihr. Ich hatte nie mit jemandem über meine Besuche an der Friedrichsruh gesprochen. Durch Zufall hatte ich den Ort entdeckt und mich auf Anhieb davon angezogen gefühlt. Mir wurde klar, dass ich tatsächlich noch nie einen lebenden Menschen dort hinten gesehen hatte.
    Einen lebenden Menschen, meine Formulierung fiel mir in einer Art auf, als habe nicht ich den Gedanken gedacht. Und noch etwas dämmerte mir, als ich versuchte, zu Myriam aufzuschließen, die jetzt ein Tempo wie bei einem 100-Meter-Lauf draufhatte: Bei dem Vorhaben, mit ihr zur Friedrichsruh zu joggen, hatte ich nicht einen Moment an den seltsamen Eintrag im Wanderer-Gästebuch, die Prophezeiung, und meinen unheimlichen Alptraum gedacht oder die Begegnung mit dem blauen Ding auf dem Weg zum Klo. Das Vortagesgeschehen und der nächtliche Kampf mit der Krankheit waren wie aus meinem Gedächtnis gelöscht gewesen. Erst jetzt war mir alles wieder eingefallen.
    Etwas hatte von mir Besitz ergriffen gehabt und versucht, uns zur Ruine zu locken. Mit einem Schlag wurde mir das klar. Und dieses Etwas hasste Myriam für ihre Bockigkeit und die Vereitelung seiner Pläne. Es war mit mir verwoben, ich bekam keinen einheitlichen Standpunkt zusammen. Auch ich, zumindest der Teil, der sich mit dem Etwas vereinigt hatte, hätte Myriam in der Luft zerreißen können, hätte sie packen und dorthin schleifen mögen, dort hinunter, aber von Widerstand erfüllt hätte sie uns nichts genutzt dort unten.
    Wo unten?!
    Der unverwobene Teil von mir bekam einen Schock angesichts solcher Gedanken, zitterte im Würgegriff unerklärlicher Urängste und strebte von Grusel und Grauen erfüllt weg, nur weg von der Friedrichsruh.
    Ich merkte, dass auch ich jetzt volle Geschwindigkeit rannte. Und es war am allerwenigsten, um Myriam einzuholen.

Kapitel 4: Scheiß auf Mathe
     

    Ich setzte die Abi-Prüfung in Sport-Theorie in den Sand. Mit den Praxis-Noten konnte ich einiges ausgleichen, aber auch das Kolloquium ging in die Hosen. Sechs Wochen vor der Zeugnisüberreichung beim Abiturball, zwei Prüfungen standen noch aus, hatte ich die Ehrenrunde vor Augen. Es lag an Myriam, dass ich nicht aufgab, sondern mich reinkniete. Meine alberne Fixiertheit, an ihrer Seite im Festsaal zu erscheinen, war wohl das einzige, was mein Abi noch retten konnte. Für Besuche an der Friedrichsruh blieb keine Zeit.
    Zumindest redete ich mir das ein. In Wahrheit stieß mich der Ort seit unserer fluchtartigen Kehrtwende ein klein wenig mehr ab als er mich anzog und faszinierte, und so blieb ich ihm zunächst fern.
    An jenem Nachmittag war ich nach dem Vorfall beim Joggen, was meine Beziehung mit Myriam anging, wieder bei Null angelangt. Als wir schwitzend und schnaufend an ihrem Elternhaus ankamen, verabschiedete sie
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