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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef
Autoren: Andreas Pittler
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Prolog
    Ich werde endlich doch bald ganz tot sein. Innerlich bin ich es schon lange. Seit mir die große Liebe meines Lebens unmissverständlich klargemacht hat, dass sie meine Gefühle nicht zu erwidern imstande ist. Lange habe ich gehofft, meine Liebe könnte für uns beide reichen, doch nun sehe ich ein, dass all mein Hoffen vergebens ist. Und was, so frage ich mich, hat das Leben für einen Sinn, wenn der einzige Mensch, den man liebt, nichts für einen empfindet? Der Mensch, so heißt es, ist ein soziales Wesen, er muss sich anderen zugesellen, um glücklich sein zu können. Ich bräuchte nur einen einzigen anderen Menschen, um mein Glück zu finden, doch genau dies ist mir nicht vergönnt. Und so komme ich zu dem Schluss, dass es besser ist, diesem Jammertal Lebewohl zu sagen. Vielleicht liegt mein Glück ja in einer anderen Welt, die frei ist von Qualen und dieser unendlichen Trauer, die mich seit Wochen gefangen hält.
    Ich habe mir diesen Entschluss nicht leicht gemacht. Tag um Tag verging mit der aussichtslosen Suche nach einer anderen Lösung als jener, die ich nun wählen werde. Doch weder vermochte mir die flüchtige Ablenkung durch diverse abendliche Vergnügungen noch gar die Religion irgendeinen Trost zu verschaffen, und so stehe ich nun vor den Trümmern jener Existenz, die ich bald gewesen sein werde. Es mag sein, dass ich vieles in meinem Leben falsch gemacht habe, möglicherweise ist dies auch der Grund dafür, dass ich keine Liebe verdient habe. Doch nun werde ich einmal in diesem verkorksten Sein etwas richtig machen.
    Der Haken neben dem Luster ist für meinen Zweck hervorragend geeignet. Er ist ganz fest in der Decke verankert, gerade recht, um eine beträchtliche Last zu tragen. Ich fixiere den Strick an diesem Haken und kontrolliere durch kräftiges Ziehen nochmals, ob er seinem Zweck auch gerecht wird. Dann stelle ich mir den Sessel zurecht. Ich kontrolliere noch einmal vor dem Spiegel meine Erscheinung. Die Uniform sitzt hervorragend, und es steht zu hoffen, dass dies auch noch der Fall sein wird, wenn man diesen Körper, der dann einmal meine Seele umschlossen hielt, findet. Ich habe gehört, dass Hängen ein langsamer Tod ist, wenn einem dabei nicht das Genick gebrochen wird. Nun, der Fall wird kaum ausreichen, dies zu bewerkstelligen, aber es ist durchaus in Ordnung, wenn ich nicht schnell sterbe. Denn auch ich muss Buße tun. Immerhin habe ich es nicht geschafft, meine Liebe für mich zu gewinnen. Ich war eben nicht stark genug, und für diese Schwäche muss ich büßen. Es heißt allerdings, dass man in seinem Todeskampf eine Erektion bekommt, ja, dass man sich im Tode sogar noch einmal ergießt. Das ist, so hoffe ich, nur ein dummes Gerücht, denn es möchte die Uniform schön aussehen, wenn sich just an einer solchen Stelle ein derartiger Fleck zeigte. Aber bei dem vielen Pech, das mein Leben so nachhaltig kennzeichnete, wäre es wohl nicht zu viel verlangt, einmal auch Glück zu haben. Ich hoffe also, mich bei dieser letzten Reise nirgendwo selbst zu beflecken. Wahrscheinlich ist das eine Frage der Disziplin, und an dieser hat es bei mir ja nie gemangelt. Ich überprüfe noch einmal die Schlinge und befinde sie für in Ordnung. Ein letztes Mal sehe ich mich in diesem meinem Zimmer um. Es ist schon recht, dass hier alles endet, da hier nichts begonnen hat, obwohl ich so sehr darauf gehofft habe. Mit Schrecken denke ich an jenen einen Abend zurück, an dem mir unmissverständlich vor Augen geführt wurde, wie töricht mein Ansinnen sei. Von diesem anderen war da die Rede, von diesem Krösus, der sich all das leisten könne, was ich niemals würde mein Eigen nennen. Vergeblich war da all mein Bitten und Flehen, ungehört blieben meine Warnungen, dass dieser Schurke nur Spielchen spiele, dass er sich nur von einer momentanen Laune leiten lasse, während meine Gefühle zutiefst aufrichtig, ehrlich und durch und durch lauter seien. Dieses Lachen werde ich nie mehr aus meinen Ohren bekommen, es wird mich in meinen einsamen Tod begleiten. Was für ein Dummkopf ich doch sei! Ja, ein Dummkopf war ich gewiss. Wie glaubte ich, mit Empfindungen konkurrieren zu können gegen Geld, Wohlstand und Aufmerksamkeit? Ein Mann von Welt, der einem ebendiese zu Füßen legt – was zählen da die Liebesschwüre eines Habenichts aus der Provinz?
    Ich war eben nicht zum Leben bestimmt. Ein Irrtum der Natur, wie er allenthalben einmal vorkommt. In der freien Wildbahn findet eine solche Existenz ihr rasches
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