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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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Strauchwildnis.
    Das war kein Berg. Es sah aus, als sei hier eine höhlen- und stollendurchsetzte Aufwölbung in sich zusammengestürzt zu einer beispiellosen Trümmerlandschaft.
    Konnte hier oben wirklich ein Haus gestanden haben? Wenn ja, dann konnte es nicht besonders groß gewesen sein. Der Steinbrockenberg an sich war zwar in der Grundfläche gewaltig, aber es gab nur die wenigen Quadratmeter ringsum, die geeignet gewesen wären, darauf zu bauen. Und wenn hier was gewesen wäre, hier oben, dann hätte doch der Untergrund nicht so ebenmäßig glatt sein dürfen unter Moos und Gras, es hätte doch Mauerreste geben müssen, Unebenheiten, irgendwas.
    Nach 200 oder wer weiß wie vielen Jahren? Hatte da die Natur sich den Berg nicht so gründlich zurückerobert und alles ausgefressen, aufgefüllt, zurechtgeschliffen und natürlichen Verwitterungsformen angenähert, hätten da Spuren geblieben sein können, erkennbare Reste eines Gebäudes?
    Ich hatte keine Ahnung.
    Aber eine Idee. Die historische Zeichnung im Glaskasten neben dem Wanderergästebuch war ziemlich exakt. Vielleicht ließ sich daraus auf den Grundriss schließen beziehungsweise das Gebäude erst mal orten. Es konnte ja ganz anderswo auf dem Berg gestanden haben, mehr seitlich versetzt statt genau obendrauf.
    Ich stieg von dem Plateau herab und durchkraxelte die Felsenwildnis darunter, grätschte über moosbedeckte Wälle, sprang über seltsam gleichmäßige, kreuz und quer verlaufende Gräben, durchquerte sie, wo sie zu breit waren, und erschrak aufs Brutalste, als plötzlich der Boden unter meinem rechten Fuß abrutschte, ihn förmlich einsog und verschluckte.
    Instinktiv ließ ich mich nach vorne fallen und nahm damit das Gewicht von dem unter meinem Stand nachgebenden Erdreich. Ich hörte ein Klackern schräg unter mir, es klang wie Wackersteine, die von einem Laster abgekippt wurden und auf Stein prallend sich verbreiteten. Nur ertönte das Geräusch gedämpft, aber trotzdem noch verdammt laut unter der Erde – genau da, wo ich fast eingebrochen wäre. Es klang, als würde der Berg im Begriff sein, gar vollends zu kollabieren.
    Vor Schreck zog ich die Beine da weg und machte einen Satz nach vorn auf vermeintlich festen Boden.
    Mein Herz raste. Ich spürte krümeligen Dreck und stachelige Fichtennadeln zwischen meinen Fingern, aber keine Schmerzen. Ich hatte meinen Fuß rechtzeitig da herausgezogen. Von dem Platz, an dem ich kauerte, sah ich ein schwarzes Nichts an der Stelle, die unter mir nachgegeben hatte. Und ich sah eine rotbraune Struktur, die mir vorkam wie ein alter, verwitterter Teil einer Mauer. Hatte das Schloss hier unten gestanden, am Fuß des Berges? Dann war es vielleicht die Decke eines Kellergewölbes, was unter mir eingebrochen war.
    Meine Neugier brandete auf und ließ die eben noch vorherrschende Angst lächerlich erscheinen. Kein Erdrutsch, sondern ein altes Kellergewölbe – was sollte da schon passieren? Natürlich brauchte ich ein Seil und eine Taschenlampe. Aber ich konnte ja vorher schon mal, jetzt gleich, hinein spitzen.
    Auf allen Vieren tastete ich mich an das Loch heran. Eine schmutzig-graue Staubwolke stieg daraus hervor. Da unten musste es kräftig Dreck aufgewirbelt haben. Nicht mal das, was ich für den Teil einer Mauer gehalten hatte, sah ich mehr.
    Ich wartete, bis es mir zu langweilig wurde. Die Dreckwolke schien sich zu legen, aber zu sehen war nichts. Man müsste ein Warnschild aufstellen, dachte ich. Aber wer außer mir wäre leichtsinnig genug, auf dieser überwucherten Geröllhalde herum zu kraxeln?
    Der Schaukasten fiel mir wieder ein. Das Loch ließ ich Loch sein und ging sorgfältig Tritt suchend zurück auf sicheres Terrain. Die letzten zwei Meter hinab ließ ich meine Beine rennen, denn hier wähnte ich den Boden fest, und schon stand ich genau zwischen Gästebuch-Kasten und Schautafel. Verrückter Gedanke. Vielleicht war unterdessen ein Eintrag erfolgt?
    Erst das Bild!
    Ich hatte heuer noch nicht drauf geschaut. Ich glaube, es war beim allerersten Besuch hier ein erster und letzter flüchtiger Blick gewesen, bevor es mich damals schon magisch zum Gästebuch-Kasten gezogen hatte.
    Das Bild war so, wie ich es in Erinnerung hatte, ein Stich des Schlosses mit einer Gruppe Menschen davor, die im Stil der damaligen Zeit gekleidet waren. Zwei Frauen mit üppigen Kleidern und Perücken, drei Männer mit langen Jacken, Kniebundhosen und Schnallenschuhen.
    Über den Winter war Wasser in den Schaukasten
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