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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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auch nicht sonderlich. Meine Lieblingstouren waren alle zu lang für diese Tages- und Jahreszeit. Außer...
    Mir fiel ein Ort ein, den ich im Spätsommer vorigen Jahres entdeckt hatte und der ganz in der Nähe lag, die Ruine des Lustschlösschens Friedrichsruh mitten im Wald. Im dichten Bewuchs waren nicht mal Mauerreste zu erkennen. Heimatforscher hatten allerdings an der Stelle einen Rastplatz eingerichtet und in einem Glaskasten die Kopie einer historischen Zeichnung des Schlösschens mit ein paar Sätzen zu seiner Geschichte ausgestellt.
    Was mich am meisten interessierte, war eine Art Wanderer-Gästebuch, das in einem kleinen Holzkasten am Rastplatz stand. Waren auf den ersten Seiten dieses Buches vor allem brave, ordentliche und nette Einträge über Wandertouren und Wetter zu finden, zum Teil in Versform in sauberer Handschrift formuliert und mit kleinen Zeichnungen dekoriert, so hatten sich zur Mitte hin erste Dialoge zwischen regelmäßigen Besuchern entwickelt, Grüße zunächst, dann auch Anspielungen, Sticheleien und Streitereien.
    Ich hatte seit November nicht in dem Buch gelesen und fragte mich, ob es während des Winters neue Eintragungen gegeben hatte. Mit diesem Ziel vor Augen scherte ich aus der Buswendeschleife aus und lenkte das Fahrrad auf den Feldweg.
     
    Im Schatten des Waldes war es deutlich kühler, fast noch frostig. Zwischen den Stämmen hatte der Schnee sich großflächig festgesetzt, strahlte eisig-feuchte Nebelschwaden ab und machte den Wald zu einem riesigen, von der Sonne abgeschirmten Kühlschrank. Der Weg allerdings war frei und trocken, und so hielt ich Kurs, obwohl es mich ein bisschen fröstelte.
    Mit einem Schwall Energie stieg ein ungeheurer Bewegungsdrang in mir auf. Der lange Winter, der mich vom Wald ferngehalten hatte, war vorbei. Ich kam mir vor wie ein Gefangener, dem endlich die Flucht gelungen war. Mit aller Kraft trat ich in die Pedale und ging ganz im Fahren auf.
    Bald wurde mir warm, und ich fühlte mich so richtig gut – so gut, dass ich an einem Abzweig im Wald nun doch eine weitere Strecke wählte, statt gleich zur Friedrichsruh einzuschwenken. Wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch am Moorteich vorbeischauen.
    Ob das Eis darauf schon getaut war? Der Bereich um den Moorteich war im Winter weitgehend unzugänglich. Dort hinten wurde nicht geräumt, keine Forstfahrzeuge fuhren, der Schnee lag im Januar und Februar knietief. Es war eine Qual, sich da durchzukämpfen.
    Tatsächlich tauchten jetzt, je weiter ich in die entlegenen Teile des Waldes kam, auf dem Weg vereinzelt Schnee- und Eisflächen auf, die sich allerdings leicht umfahren ließen. Ich machte mir keine Gedanken darüber, denn ich kam über eine rund 600 Meter hohe Bergkette heran, der Teich lag 200 Meter tiefer, und im Tal taute der Schnee doch wohl früher als in der Höhe.
    Dachte ich damals, aber unsere verwinkelte, raue Mittelgebirgslandschaft hatte ihr eigenes Klima. Hänge, die in Südrichtung lagen, heizten sich auf, der Schnee schmolz und floss rasch ab, während er sich in den Tälern darunter, die kaum Sonne abbekamen, bis Mitte Mai halten konnte. Genau dieses Phänomen erlebte ich an diesem Nachmittag erstmals bewusst - bewusster leider, als mir lieb sein sollte.
    Ich durchfuhr ein weitläufiges Kahlschlaggebiet, das voll in der Sonne lag. Links und rechts türmten sich die Stämme abgeschlagener Fichten wie Mauern. Schnee war in diesem Bereich kaum noch zu sehen. Mir war warm von meiner wilden Fahrt und der Sonne, und ich fühlte mich so richtig gut.
    Eine Kurve noch, dann ging es wieder in dichten Fichtenwald hinein und über mehrere hundert Meter bergab, eine schier unendlich lange Gerade gut ausgebauten Waldweges entlang, auf dem man die Räder so richtig rollen lassen konnte. Im Sommer ein Hochgenuss. Jetzt, Mitte März, war die Zugluft der Abfahrt nur im ersten Moment angenehm.
    Kaum aus der Sonne, kam ich bald wieder ins Frösteln. Die Luft in diesem schattigen Waldbereich war eisig. Ringsum klebte in dicken Lagen verkarsteter Schnee, und ich musste bremsen, um nicht ins Schlingern zu geraten.
    Wuchtige weiße Haufen flankierten hier unten den Weg. Im einfallenden Sonnenlicht wehte rauchiger Nebel von verdunstendem Schnee vor mir, ein zauberhaftes Bild, aber darin eingetaucht war es bitter kalt, und inzwischen bedurfte es aller Aufmerksamkeit und Kraft, um auf dem sulzigen Untergrund nicht die Kontrolle über das Fahrrad zu verlieren.
    Ich versuchte zu bremsen. Längst klebte der
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