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Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)

Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)

Titel: Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
Autoren: Ellen Renner
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1
    I ch schmecke den bitteren Wind, spüre, wie er mich höher trägt. Meine Flügel zerschneiden die Luft. Unter mir dreht sich der Hof: aufblitzender grauer Kalkstein, olivfarbene Vegetation, emporblickende Gesichter.
    Geistmagie. Unser Tutor hat uns einen Falken mitgebracht – ein Zwergfalkenweibchen – und ich habe Mühe, mit seinem schlichten Verstand zurechtzukommen. Dennoch ist es die Anstrengung fast wert. Im Aufwind zu kreisen, über der sich drehenden Welt, lässt mich flüchtig so etwas wie Glück empfinden. Warum also hasse ich diese Unterrichtsstunden? Von den anderen Meisterschülern macht sich keiner Gedanken darüber, dass es eigentlich unrecht ist, in den Geist eines anderen Geschöpfs einzudringen. Warum muss immer ich die sein, die aus der Reihe tanzt?
    Weil ich nie wirklich das Kind meines Vaters sein werde.
    Ein Mädchen steht ein Stück abseits von den anderen. Üppige rotgoldene Haare, die Lippen leicht geöffnet, als wolle sie etwas sagen, einen ablehnenden Ausdruck in den graugrünen Augen. Trotz des wärmenden Gefieders des Falkenerschauere ich. Es ist unheimlich, vom Himmel herabzublicken und sich selbst durch die Augen eines anderen Wesens zu sehen.
    Ich drehe ab und neige mich seitwärts, steige auf und lasse die gefängnisartigen Mauern des Hofs weit unter mir. Höher und höher, bis das Ziegeldach der Akademie immer kleiner wird, bis ich hoch über der Stadt mit ihren Olivenhainen und den rotbraunen Feldern kreise. Ich höre den Wind in den Bäumen und dem trockenen Rispengras, das Wispern fließenden Wassers, rieche das warme Blut der Spatzen und Kaninchen im Unterholz.
    In meiner Brust breitet sich ein sehnsüchtiger Schmerz aus, als würde eine Hand mein Herz umklammern. Entfliehen! Über die Felder zu den in der Ferne aus blauen Dunstschwaden ragenden Bergen fliegen. Aber ich kann nicht in dem Falken leben. Es würde meinen sicheren Tod bedeuten, wenn ich meinem menschlichen Körper zu lange fernbliebe. Und ich darf noch nicht sterben. Ich habe noch eine Schuld zu begleichen.
    Etwas Weißes blitzt auf. Ein Stück tiefer flattert eine Taube und rot verschwommene Bilder steigen im Gedächtnis des Falken auf: warmes, metallisch schmeckendes Blut, Krallen, die in weiches Gefieder schlagen, fette Fleischbrocken, die gierig hinuntergewürgt werden. Ich und der Falke legen die Flügel an und begeben uns in den Sturzflug. Alles ist still bis auf das Rauschen des Winds und das Pochen des Bluts in unseren Ohren. Grimmige Freude. Herzklopfen. Ein schlanker, sich entsetzt reckender Hals. Panischer weißer Flügelschlag.
    Ich versuche es … ich versuche es wirklich. Zweimalschon habe ich es nicht geschafft zu töten. Das Verlangen des Raubvogels versetzt mein Herz in Erregung, aber ich spüre die Angst der Taube genauso intensiv wie den Hunger meines Falken.
    Wir richten uns in der Luft auf, neigen uns zur Seite, die Flügel angelegt, die Krallen ausgefahren. Ich erhasche einen flüchtigen Blick auf mein Gesicht tief unten. Blass, wie kurz vor einer Ohnmacht. Nein. Ich kann es nicht. Wir geraten ins Schlingern, als ich den Falken fortreiße, und verfehlen die Taube um Federsbreite.
    Der Raubvogel kreischt enttäuscht auf und unser Band löst sich. Ich stürze mit schwindelerregender Schnelligkeit in die Tiefe.
    Während der nächsten Sekunden bin ich zu sehr damit beschäftigt, gegen den Schwindel anzukämpfen, um auf meinen aufgebrachten Tutor zu achten. Und damit die dünne, nur in meinem Geist existierende Schnur erneut zu spannen, die den Falken an mich bindet, ihn untätig im Aufwind kreisen lässt und daran hindert, aufzusteigen und zu entkommen. Ich habe in dieser Unterrichtsstunde schon genug Unheil angerichtet, da will ich nicht auch noch schuld sein, dass die Akademie einen ihrer Falken verliert.
    »Wenn Euch nicht nach Töten zumute ist, Lady Zara, zieht Euch zurück und lasst den Vogel tun, wozu er bestimmt ist! Ihr habt ihn daran gehindert. Versucht erst gar nicht, es zu leugnen.«
    Ich blinzle die letzte Benommenheit weg und drehe mich zu ihm um. Aluid fallen vor Empörung fast die Glupschaugen aus dem Kopf.
    »Ein Magier muss in der Lage sein, die Augen und Ohreneines jeden Tiers zu benutzen, das er seinem Willen unterwirft.« Die Stimme des Tutors bekommt einen salbungsvollen Ton. Er wirft sich in die Brust und streicht seine safrangelbe Robe glatt. Ich weiß, was diese Gesten zu bedeuten haben: Die Strafpredigt wird sehr lang ausfallen. Er sollte mir dankbar sein, dass ich
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