Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

In seiner Hand

Titel: In seiner Hand
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
dasselbe hinaus, bloß andersherum. Er tat auch irgendetwas mit seiner Stimme, dämpfte sie irgendwie, damit sie nicht wie eine menschliche Stimme klang. Es war sogar denkbar, dass er vorhatte, mich bloß eine Weile festzuhalten und dann wieder freizulassen. Er konnte mich in irgendeinem anderen Stadtteil von London aussetzen, und es wäre mir völlig unmöglich, ihn je wiederzufinden. Ich würde nichts über ihn wissen – nicht das Geringste. Das war die erste zumindest ansatzweise gute Nachricht.
    Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon hier war, maximal konnten es drei Tage sein, vielleicht sogar nur zwei. Ich fühlte mich schrecklich, aber nicht besonders schwach. Ich war hungrig, aber noch nicht krank vor Hunger. Vielleicht zwei Tage. Terry hatte mich bestimmt schon als vermisst gemeldet. Ich war nicht zur Arbeit erschienen, sie hatten Terry angerufen, er hatte erstaunt versucht, mich auf meinem Mobiltelefon zu erreichen. Wo das wohl abgeblieben war? Unter Umständen hatte man die Polizei schon nach wenigen Stunden verständigt.
    Bestimmt war mittlerweile eine große Suchaktion im Gang. Scharen von Polizisten, die Ödland durchkämmten.
    Absolute Urlaubssperre. Spürhunde. Hubschrauber. Ein weiterer vielversprechender Gedanke. Man kann einen erwachsenen Menschen nicht einfach von der Straße zerren und irgendwo verstecken, ohne Aufsehen zu erregen. Bestimmt waren Polizisten unterwegs, die Häuser durchsuchten, mit Taschenlampen in dunkle Winkel leuchteten. Es konnte nicht mehr lang dauern, dann würde ich sie hören, sie sehen. Ich brauchte bloß am Leben zu bleiben, bis … einfach nur am Leben bleiben. Am Leben bleiben.
    Ich hatte ihn angeschrien. Ich hatte gesagt, ich würde ihn umbringen. Sonst hatte ich nichts zu ihm gesagt, zumindest konnte ich mich an nichts erinnern, außer
    »danke«, als er mir das Wasser zu trinken gab. Inzwischen hasste ich mich dafür, dass ich mich bei ihm bedankt hatte.
    Als ich ihn angeschrien hatte, war er wütend geworden.
    Was hatte er noch geantwortet? »Du willst mich umbringen? Das ist gut!« Irgendetwas in der Art. Nicht sehr vielversprechend. » Du willst mich umbringen?«
    Vielleicht hatte er das deswegen so lustig gefunden, weil er seinerseits vorhatte, mich umzubringen.
    Ich versuchte mich mit einem anderen Gedanken zu trösten. Vielleicht amüsierte ihn meine Drohung bloß deswegen, weil ich mich so vollkommen in seiner Gewalt befand, dass ihm die Idee, ich könnte es ihm heimzahlen, völlig lächerlich erschien. Auf jeden Fall war ich mit meinen heftigen Worten ein Risiko eingegangen. Ich hatte ihn wütend gemacht. Er hätte mich foltern oder schlagen oder alles Mögliche mit mir anstellen können. Aber er hatte nichts dergleichen getan. Das war unter Umständen eine wichtige Erkenntnis. Er hatte mich entführt, hatte mich gefesselt, und ich hatte ihn bedroht. Womöglich fühlte er sich unterlegen und unfähig, mir etwas anzutun, solange ich ihm die Stirn bot. Vielleicht, dachte ich, ist das die beste Art, ihn zu manipulieren. Indem ich mich nicht seinem Willen unterwarf. Möglicherweise hat er eine Frau entführt, weil er Angst vor Frauen hat und darin die einzige Möglichkeit sieht, zumindest eine Frau unter Kontrolle zu haben. Wahrscheinlich erwartet er, dass ich um mein Leben bettle und ihm auf diese Weise die Macht über mich gebe, die er sich erhofft. Doch wenn ich nicht kapituliere, dann läuft es nicht nach seinem Plan.
    Vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall.
    Womöglich hat ihm meine Reaktion bloß gezeigt, dass er mich völlig in der Hand hat. Es ist ihm egal, was ich sage.
    Er findet es lediglich komisch, hält ansonsten aber an seinem Plan fest. Bestimmt ist es entscheidend, ihm zu zeigen, dass ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin, damit es ihm schwerer fällt, mir etwas anzutun. Doch falls das auf ihn bedrohlich wirkt, macht es ihn womöglich nur noch wütender. Ich konnte nichts tun. Ich konnte mich weder zur Wehr setzen noch fliehen. Ich konnte nur Zeit schinden.
    Wie stellte ich das am besten an? Indem ich ihn provozierte? Indem ich alles tat, damit er zufrieden war?
    Indem ich versuchte, ihm Angst zu machen?
    An der Schwärze um mich herum veränderte sich etwas.
    Ich nahm ein Geräusch und einen Geruch war. Dann hörte ich wieder dieses heisere, krächzende Geflüster.
    »Ich werde jetzt deinen Knebel herausnehmen. Wenn du schreist, schneide ich dir wie einem Vieh die Kehle durch.
    Wenn du verstanden hast, was ich gesagt habe, dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher