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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand
Autoren: Nicci French
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und klatschte gegen die Innenseite meines Schädels. Ich schloss die Augen erneut, ließ meinen Namen los.

    Alles lief ineinander. Alles existierte gleichzeitig. Wie lange dauerte das an? Minuten. Stunden. Dann aber begannen sich die Dinge wieder zu trennen und wie Gestalten aus einem Nebel zu lösen. Ich hatte einen metallischen Geschmack im Mund und einen metallischen Geruch in der Nase, aber der Geruch bekam rasch eine modrige Note, die mich an Gartenschuppen, Tunnel und Keller denken ließ, an feuchte, schmutzige, vergessene Orte.
    Ich lauschte. Nichts als das Geräusch meines eigenen Atems, unnatürlich laut. Ich hielt die Luft an. Stille. Nur noch mein Herzschlag. War das überhaupt ein Geräusch oder bloß das Blut, das durch meinen Körper gepumpt wurde und von innen gegen meine Ohren drängte?
    Ich fühlte mich unwohl. Mein Rücken schmerzte, ebenso mein Becken und meine Beine. Ich drehte mich um. Nein, ich drehte mich nicht um. Ich konnte mich gar nicht bewegen. Ich hob die Arme, als müsste ich etwas abwehren. Nein. Die Arme bewegten sich nicht. War ich gelähmt? Ich spürte meine Beine nicht. Meine Zehen. Ich konzentrierte mich ganz auf meine Zehen. Die linke große Zehe rieb an ihrer Nachbarzehe. Die rechte große Zehe tat es ihr nach. Kein Problem. Die Zehen ließen sich bewegen. Sie steckten in Socken. Ich trug keine Schuhe.
    Meine Finger. Ich drückte sie nach unten. Die Fingerspitzen berührten etwas Raues. Zement oder Stein.
    War ich in einem Krankenhaus? Verletzt. Ein Unfall. Oder lag ich irgendwo und wartete darauf, gefunden zu werden?
    Ein Eisenbahnunglück. Das Wrack eines Zugs. Wrackteile auf mir. In einem Tunnel. Hilfe unterwegs. Ich versuchte mir den Zug ins Gedächtnis zu rufen, konnte mich aber nicht erinnern. Oder ein Flugzeug. Ein Auto. Spät nachts am Steuer eingeschlafen. Ich kannte das Gefühl, hatte mich oft genug selbst in den Arm gekniffen, um wach zu bleiben, das Fenster geöffnet, um kalte Luft hereinzulassen. Vielleicht hatte es diesmal nicht geklappt.
    Von der Straße abgekommen, eine Böschung hinuntergerast. Vielleicht hatte sich der Wagen überschlagen. Wann würde mich jemand als vermisst melden?
    Ich durfte nicht warten, bis jemand kam und mich rettete. Womöglich würde ich vorher sterben, während ein paar Meter von mir entfernt die Leute zur Arbeit fuhren.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als mich aufzurappeln.
    Wenn ich bloß etwas sehen könnte. Kein Mond, keine Sterne. Vielleicht waren es bloß zwanzig Meter. Eine Böschung hinauf. Wenn ich meine Zehen spüren konnte, dann konnte ich mich auch bewegen. Als erstes musste ich mich umdrehen. Den Schmerz ignorieren. Ich versuchte es, aber diesmal spürte ich, dass mich etwas zurückhielt.
    Ich war festgebunden. An den Fußgelenken und auf Höhe der Oberschenkel. An den Unterarmen und knapp über den Ellbogen. Über der Brust. Zumindest konnte ich ein wenig den Kopf heben, wie beim kläglichen Versuch eines Situps. Da war noch etwas anderes. Nicht nur Dunkelheit.
    Es war dunkel, aber nicht nur das. Mein Kopf war bedeckt.
    Ich versuchte, klar zu denken. Es musste einen Grund dafür geben. Gefängnisinsassen wurden festgebunden.
    Manchmal auch Krankenhauspatienten, um sie vor weiterem Schaden zu bewahren. Beispielsweise, wenn sie auf einem Rollbett zu einer Operation gefahren wurden.
    Ich hatte einen Unfall gehabt.
    Einen Autounfall, das war am wahrscheinlichsten. Ernst, aber nicht lebensbedrohlich. Trotzdem konnte jede abrupte Bewegung gefährliche innere Blutungen zur Folge haben.
    Bestimmt wartete ich bloß auf die Schwester oder den Anästhesisten. Vielleicht hatte man mir das Narkosemittel schon verabreicht. Oder ein Mittel, das mich auf die Narkose vorbereitete. Daher die Lücken in meinem Gedächtnis. Seltsam, dass es so still war, aber man hört ja oft von Leuten, die im Krankenhaus stundenlang auf einem Rollbett herumliegen, bis ein Operationssaal frei wird.
    Aber irgendetwas stimmte nicht. Ich schien nämlich nicht auf einem Rollbett zu liegen. Ganz zu schweigen von diesem Geruch nach Feuchtigkeit und Schimmel, nach alten, vor sich hin modernden Dingen. Meine Finger ertasteten nichts als Beton oder Stein. Mein Körper lag auf etwas Hartem. Ich versuchte nachzudenken. Nach großen Katastrophen wurden die Leichen oft in improvisierten Leichenhallen gelagert. In Sporthallen von Schulen.
    Gemeindesälen. Vielleicht war ich ein Katastrophenopfer.
    Vielleicht hatte man jeden freien Fleck genutzt, um die Verletzten
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