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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand
Autoren: Nicci French
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kämpfte mich in eine hockende Position, stand dann ganz langsam auf. Versuchte aufzustehen. Mein Kopf stieß gegen ein Dach. Demnach war der Raum höchstens einen Meter fünfzig hoch. Keuchend vor Anstrengung, ließ ich mich wieder auf den Boden sinken.
    Wenigstens konnte ich mich bewegen. Mich krümmen und winden wie eine Schlange im Staub. Was ich mich kaum traute. Ich hatte das Gefühl, irgendwo weit oben zu sein. Wenn er den Raum betrat, befand er sich unter mir.
    Die Schritte und seine Stimme kamen von unten. Er musste irgendwo hinaufsteigen, um zu mir zu gelangen.
    Vorsichtig streckte ich die Füße nach vorne aus, spürte aber nur den Boden. Mühsam drehte ich mich herum.
    Mein T-Shirt hatte sich hochgeschoben, und die nackte Haut meines Rückens schabte schmerzhaft über den rauen Untergrund. Ich streckte erneut die Beine aus. Immer noch Boden unter meinen Füßen. Ganz langsam schlängelte ich mich vorwärts, ständig mit den Füßen tastend. Plötzlich spürte ich nichts mehr – nichts Hartes mehr unter mir.
    Ausgestreckt über einem freien Raum, einer Leere.
    Liegend schob ich mich weiter, Zentimeter um Zentimeter. Meine Beine baumelten bereits bis zu den Knien in der Luft. Ich winkelte sie an. Wenn ich jetzt den Oberkörper aufrichtete, würde ich über einem Abgrund sitzen, am Rand einer Klippe. Mein Atem begann panisch in meiner Brust zu flattern. Ich robbte rückwärts. Mein Rücken schmerzte, in meinem Kopf dröhnte und pochte es. Ich schlängelte und schleppte mich weiter rückwärts, bis ich gegen eine Wand stieß.
    Ich setzte mich auf, presste meine gefesselten Hände gegen die Wand. Die Fingerspitzen spürten grobe, feuchte Ziegel.
    Aufrecht schob ich mich an der Wand entlang, bis ich auf die Ecke stieß, und bewegte mich dann in der Gegenrichtung zurück. Meine Muskeln brannten vor Anstrengung. Der Raum musste etwa drei Meter breit sein.
    Und etwa eins zwanzig tief.
    Es fiel mir schwer, klar zu denken, weil der Schmerz in meinem Kopf mir immer wieder in die Quere kam. Hatte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen? Eine tiefe Schramme davongetragen? Oder war mit meinem Gehirn etwas nicht in Ordnung?
    Die Kälte ließ mich zittern. Ich durfte nicht aufhören nachzudenken, musste meinen Kopf beschäftigt halten, ohne an die falschen Dinge zu denken. Auf irgendeine Art war ich entführt worden. Gegen meinen Willen wurde ich festgehalten. Warum wurden Menschen entführt? Wegen Geld oder aus politischen Gründen. Mein gesamtes Vermögen belief sich – nach Abzug der Beträge, die ich in letzter Zeit mit Kreditkarte bezahlt hatte – auf etwa zweitausend Pfund, wovon die Hälfte in meinem rostigen alten Wagen steckte. Politische Gründe kamen wohl auch nicht in Frage, ich war Beraterin in Sachen Büroeinrichtung, keine Botschafterin. Andererseits konnte ich mich an nichts erinnern. Womöglich befand ich mich in Südamerika oder im Libanon. Dagegen sprach, dass der Mann definitiv ein britisches Englisch gesprochen hatte, Südenglisch, soweit ich das anhand des leisen, undeutlichen Geflüsters beurteilen konnte.
    Welche anderen Gründe konnte es geben? Ich hatte mich in eine Richtung manövriert, in der alles richtig übel aussah. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Beruhige dich. Beruhige dich, Abbie. Du darfst keine verstopfte Rotznase bekommen.
    Er hatte mich nicht getötet. Das war ein gutes Zeichen.
    Obwohl es nicht notwendigerweise ein wirklich gutes Zeichen sein musste – langfristig gesehen konnte es auch ein schlechtes Zeichen sein. Allein bei dem Gedanken wurde mir speiübel. Doch so war die Situation, mehr wusste ich nicht. Vorsichtig spannte ich meine Muskeln an, spürte meine Fesseln. Ich wusste nicht, wo ich war, wusste auch nicht, wo ich entführt worden war, oder wann oder wie. Oder aus welchem Grund. Ich konnte nichts sehen. Ich wusste nicht mal, wie der Raum aussah, in dem ich lag. Er fühlte sich feucht an. Vielleicht war es ein Keller oder ein Schuppen. Auch über den Mann war mir nichts bekannt. Oder die Männer. Oder wer sonst noch damit zu tun hatte. Wahrscheinlich hielt er sich ganz in der Nähe auf. Ich wusste weder, ob ich ihn kannte, noch wie er aussah.
    Das war vielleicht gut so. Wenn ich ihn identifizieren könnte, dann würde er wahrscheinlich … wie auch immer, auf jeden Fall wäre das weniger gut. Profi-Entführer trugen Masken, damit die Geisel ihr Gesicht nicht zu sehen bekam. Dass er mir eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte, lief vielleicht auf
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