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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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angedeutetem Lächeln, ein alt gewordener, Fischerpullover tragender Schuljunge, der mit unverhohlenem Vergnügen zusah, wie Mutter ihren Vorrat an Leckereien ausbreitete. Rückblickend wird mir klar, dass Mutter tatsächlich in Rott verliebt gewesen ist, wenigstens ein bisschen, wenn auch nicht so, wie man einen Freier liebt. Natürlich hielt sie diese Liebe geheim, da sie alles geheim hielt; das war so ihre Art. Und obwohl jeder Gast von den Cremeschnitten essen konnte, die sie am Samstagvormittag auftrug, waren sie in Wahrheit nur für Rott gedacht; ich bin mir sicher, die übrigen Freier wussten das. Ich bin mir sogar sicher, dass Mutter wollte, dass sie es wussten. Sie wollte sie mit ihrer freundlichen Fürsorge infizieren; sie wollte, dass alle ihn liebten – denn wenn je ein Mann Liebe brauchte, dann Rott.
    Jetzt war es Mittag. Heute würde Kyrre Opdahl in seiner Hytte gleich unterhalb unseres Gartengrunds und des Birkenwäldchens sein, um sie für den ersten Gast des Jahres herzurichten, und er würde sich wundern, wo ich blieb. Ich hatte versprochen zu helfen. Ich half immer, nicht bloß, weil ich den törichten Alten gernhatte, sondern aus eigenen Gründen, und mir gefiel nicht, dass ich zu spät sein würde. Ich stand auf und trat ans Fenster, um nachzusehen, ob Kyrres Lieferwagen an seinem üblichen Platz gleich am Wegende bei der Hytte stand, die vom oberen Stockwerk unseres Hauses deutlich zu sehen war – und genau in diesem Augenblick, als ich über die Wiesen zum Strand schaute, begriff ich, dass es Sommer geworden war. Die Monate mit Schnee, dann Tauwetter, dann wieder Schnee endlich vorbei. Zuckerschnee, verwehter Schnee, schmutziger Schnee, der noch bis in die ersten Mittsommerwochen liegen blieb. Frühlingsschnee. Es gibt Leute, die es wegen der langen Winterdunkelheit unerträglich finden, so hoch oben im Norden zu leben, während andere die endlosen, spektakulären weißen Sommernächte der Schlaflosigkeit und wilden Fantastereien nicht ertragen. Doch für mich ist die Zeit des schmutzigen Schnees am schlimmsten, wenn der Himmel hell und klar, aber der Boden noch gefroren ist, ein falscher Sommer mit weißem Himmel und eisiger Erde, in dem nichts zu stimmen scheint. Wir haben einen Namen für die dunkle Jahreszeit und einen Namen für die weiße Mittsommerdämmerung, aber keine Bezeichnung für diese Zwischenzeit, obwohl sie jedes Jahr wiederkehrt, diese leichte, doch bezeichnende Ungehörigkeit auf dem Land, die sich im schlimmsten Fall zu schamlosem Spott steigert, fast, als trüge man zu einer Beerdigung ein rotes Kleid. In diesem Jahr hatte die namenlose Zeit von Schnee und griesgrämigem Licht zu lang gedauert, nun aber war sie vorbei, von einem auf den anderen Moment – und auch wenn die Veränderung nur minimal schien, war sie doch nicht zu leugnen. Ich öffnete das Fenster. Die Frische war überwältigend. Die Nacht zuvor war frostig und still gewesen; nun hatte die Luft etwas Weiches, einen Duft von junger Süße, von Gras, Wildblumen und sich in den Wiesen sammelndem Bergwasser. Ich konnte Vogelgezwitscher hören und vom Wind gesiebtes Murmeln aus Mutters Garten, fern klingende Rufe aus den Wiesen unten bei der alten Fährstelle und ein tiefes Dröhnen von der jenseitigen Fahrrinne. Gartenvögel, Weidenvögel, Strandvögel; weit fort das Tuckern eines Motorboots; aus Richtung Mjelde, die Küste hinauf, ein Maschinengebrumm. Dieses überall einsetzende Treiben ist in den ersten Sommertagen immer eine Überraschung, die vielen Geräusche, und doch, geht man an ein Fenster und sieht hinaus, scheint es, als gäbe es draußen nur Licht und Weite. Dies ist die Zeit, in der Besucher zu Kyrre Opdahls Sommerhütte kommen, dem einzigen Gebäude, das von unserem Haus aus zu sehen ist, und an diesem Morgen sollten die ersten Gäste eintreffen. Weil sein Lieferwagen vor der Hytte parkte, wusste ich, dass der Alte bereits bei der Arbeit war, dass er putzte und sauber machte, seinen Willkommenskorb mit Kaffee, Teebeuteln und frischem Brot bereitstellte, Milch und etwas Gjetost in den kleinen Kühlschrank legte, nach dem Gas für den Küchenherd sah und den Stapel Scheite und Anmachholz prüfte. Und längst würde er sich meinetwegen Sorgen machen, denn ich war nicht gekommen, und dieser alte Mann fand immer einen Grund, sich Sorgen zu machen.
    ***
    Ich zog mir Jeans und Pullover an, ging auf den Treppenabsatz, blieb stehen und lauschte. In meinem Zimmer hatte ich die Stimmen nicht erkennen
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