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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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Kyrre sein altes Boot sowie verschiedene Ersatzteile und etwas Netzzeug aufbewahrt, und sie scheint, genau wie das Bootshaus, halb zum Wasser und halb zum Land zu gehören.
    Ich liebe das Bootshaus. Es ist wie ein Tabernakel: Kyrre wendet ebenso viel Arbeit dafür auf wie für die Hytte, und er verpasst dem schmalen, verwitterten Boot jedes Jahr einen neuen Anstrich in Rot und Blau, nimmt den Motor auseinander, reinigt jedes einzelne Teil und hält alles makellos sauber, aber man sieht ihn nie damit auf dem Wasser. Dafür sei er zu alt, sagt er – dabei wirkt er kaum älter als fünfzig und ist fit wie ein Turnschuh. Ich glaube, er hat es sich einfach abgewöhnt, etwas aus reinem Vergnügen zu machen, und lässt sich nur Zeit für die Arbeit. Dabei hätte er sich längst zur Ruhe setzen können, und niemand weiß, was er mit dem Geld macht, das ihm seine diversen Geschäfte einbringen; allerdings wüsste er auch gar nicht, wie er immer sagt, was er ohne Arbeit mit sich anfangen sollte. Manchmal deprimiert es ihn, wenn es im Winter zu kalt für richtige Arbeit wird, aber im Sommer vermietet er diese Hytte sowie noch ein paar weitere Liegenschaften weiter oben an der Küste unweit von Brensholmen.
    Sein eigenes Haus liegt, von hier nur einen kurzen Spaziergang entfernt, unsichtbar gleich hinter dem Birkenwald, ist aber auch kaum mehr als ein Lager mit einer Werkstatt, einem Haufen Kisten, Werkzeug und halb fertigen Apparaten, die sich von der Küche, in der er die meiste Zeit verbringt, über den Flur bis ins große, leere, eher dem Laden eines Schiffsausrüsters als einer Schlafkammer gleichenden Gästezimmer verteilen und die gewöhnlichen Details seines Alltagslebens so durchsetzen, dass sich das eine unmöglich vom anderen trennen ließe. Er sei jetzt alt, behauptet er, ist aber so geschäftig wie eh und je und ruht sich nie aus, es sei denn, was selten genug geschieht, er setzt sich mit mir hin, um Kaffee zu trinken und eine seiner Geschichten zu erzählen.
    So geschäftig er sich auch gibt, ist er doch nie zu beschäftigt, um Mutter zu helfen, und sie verlässt sich in mancherlei praktischer Hinsicht auf ihn. Er liefert die Scheite für unseren Ofen, hilft im Garten, repariert, was kaputtgeht, bringt unsere Lebensmittel und die Kunstutensilien, die sich Mutter aus Oslo oder Bergen per Schiff liefern lässt. Er war es auch, der mich während all meiner Schuljahre jeden Tag nach Tromsø fuhr, und ich sehe ihn noch vor mir, wie er, dieser wunderbare, verlässliche Mann mit kurz geschnittenem Haar und vogelartiger Gestalt, an jenem ersten Morgen vom Fahrersitz sprang und nach hinten um den Wagen eilte, um mir mit schwungvoller Geste die Tür zu öffnen, einem schüchternen Schulkind, das sich plötzlich in eine königliche Prinzessin verwandelt sah. Natürlich übertrieb er – bei seinem Anblick musste ich an den Gockel in meinem Bilderbuch denken –, doch merkte ich sehr wohl, wie stolz und würdevoll er war. Ein Mann mit einem Innenleben, dessen Selbstwertgefühl sich nicht auf den engen Winkel der eigenen Existenz beschränkte, sondern sich auf die Leben aller ausdehnte, die er kennenlernte, auch wenn sie die Bedeutung dieses Augenblicks nicht immer zu schätzen wussten. Zudem war er mein persönlicher Geschichtenerzähler, jemand, der mich während meiner gesamten Kindheit in etwa gleich starkem Maß bezauberte wie verängstigte.
    Kyrres Hytte liegt unten am Strand, über die Straße und eine kurze Wegstrecke durch die dahinterliegende Wiese, doch ist sie von meinem Schlafzimmerfenster aus deutlich zu sehen, auch vom Treppenabsatz, auf dem ich damals meist saß, um Wacht über den Fjord zu halten und das Kommen und Gehen von Kyrres Mietern zu beobachten. Wenn Flut ist, sind es bis zum Meer nur wenige Meter, so dass ein Sommergast auf dem Rasen stehen und die Seeschwalben beobachten kann, wie sie über dem flachen Wasser schweben und auf ein silbriges Glitzern warten, das sie wie winzige Blitze in die Dünung hinabschießen, in die Wellen eintauchen und mit einem fest im Schnabel gehaltenen Mickerfisch wieder auftauchen lässt. Ich nenne die Hytte Kate, nicht Haus, weil sie so simpel ist: ein Wohnzimmer mit Ofen und einem Panoramafenster mit Blick auf den Fjord, eine winzige Küche, zwei schlichte Schlafzimmer mit Bett und hinten ein schmaler Kleiderschrank, da, wo immer Schatten ist und es selbst an den schönsten Tagen nach regennassen Wiesen riecht. Laut Kyrres Broschüre können bis zu zwei Erwachsene und
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