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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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und ich weiß noch, wie sehr ich mich damals darüber gewundert habe.
    Noch hatte ich allerdings keinen Grund zu der Annahme, dass sie den Jungen Böses wollte. Das war eine Woche vor Mats’ Tod und etwa einen Monat, ehe Kyrre Opdahl anfing, seine verrückte Huldra -Geschichte zu erzählen – also gab es nicht den geringsten Anlass, schlecht von dem Mädchen zu denken. Ich fand es nur merkwürdig, dass sie mit diesen beiden schönen, weißhaarigen Jungen zusammen war, und ich weiß noch, dass ich mich fragte, was die drei wohl zusammengeführt hatte. Dabei habe ich Maia keineswegs unterstellt, dass sie irgendwelchen Unfug plante – damals nicht. Nicht an jenem Tag und auch nicht danach, als Mats starb. Ich nahm auch nicht an, dass sie bewusst bösartig war; ich fand nur, dass irgendwas an ihr nicht ganz stimmte. Sie war zu dunkel, zu aufmerksam, zu solide. Diese Jungen glitten in ihrem eigenen, selbst gesponnenen Traum durch die Welt und kümmerten sich um nichts anderes: Sie waren weder hochbegabt noch sportlich, begeisterten sich für nichts Bestimmtes. Mag sein, dass sie ein wenig wild waren, aber wild wie Tiere – wie Pferde vielleicht –, nicht wild wie manche aus ihrer Schule, die Verrücktes anstellten, um aufzufallen oder um zu beweisen, dass sie sich einen Dreck um all die Leute scherten, die sich einen Dreck um sie scherten. Von denen gab es in unserer Schule so einige, Möchtegernrebellen, die nicht wussten, was sie taten, überdrehte Vampire und Gruftis. Nur gehörten Mats und Harald nicht zu dieser Clique, ebenso wenig aber gehörten sie zu diesem dunklen, leidenschaftlichen Mädchen. Daher fiel es mir auf, dieses seltsame Dreiergespann – bloß dachte ich mir nichts dabei, und bald zogen sie weiter, verschwanden in der Menge, die für die Parade herbeigeströmt war an diesem kältesten, verschneitesten Unabhängigkeitstag seit Jahren. Drei statt zwei und definitiv zusammen. Natürlich hatte ich keine Ahnung, dass die Jungen zur Zeit der Mittsommerfeuer tot sein würden, erst Mats und dann, zehn Tage später, sein kleiner Bruder, unerklärlicherweise in einem Meer ertrunken, das zu ruhig war, zu still und viel zu gleichgültig, um sich für sie zu interessieren.
    Ich habe Harald in den Tagen nach Mats’ Tod nicht gesehen. Die Schulzeit schien mir schon lange vorbei zu sein, und wir Schüler wohnten über die ganze Insel verstreut, warteten auf die Examensergebnisse und fragten uns, was wohl als Nächstes geschehen würde. Ich fuhr nicht oft nach Tromsø und hielt auch zu keinem aus der Schule Kontakt; ich war viel zu froh, Klassenzimmerintrigen und Teenagergeschwätz hinter mir lassen zu können. Außerdem hatte ich nie viel dafür übrig gehabt, bei Freundinnen zu übernachten oder am Samstagnachmittag mit anderen Mädchen herumzuziehen, um mir Make-up oder Schuhe anzusehen. Ich ahnte, wie schmerzlich es für Harald gewesen sein musste, seinen Bruder auf diese Weise zu verlieren, nur konnte ich nicht glauben, dass er sterben wollte, und bis heute halte ich seinen Tod nicht für Selbstmord. Er ertrank bei stiller See, genau wie Mats, was seltsam ist, aber nicht bedeutet, dass er sich absichtlich umgebracht hat. Hinterher sagte Kyrre Opdahl – zu mir, und sicher auch zu jedem, der ihm zuhören wollte –, sie hätte Schuld, die Huldra, aber das ist lächerlich. Es gibt keine Huldra. Etwas Ungewöhnliches ist passiert, nur gibt es dafür eine Erklärung. Irgendwas Psychologisches. Es lässt sich nicht einmal belegen, dass Harald Maia überhaupt gesehen hat, damals, in den zehn Tagen, ehe er sich mitten in der Nacht aus dem Haus schlich und im Dämmerlicht an den Strand lief; und ebenso wenig lässt es sich belegen, dass sie etwas mit seinem Weggang zu tun gehabt hat.
    Trotzdem muss gesagt werden, dass etwas Eigenartiges vor sich ging. Die Wiesen lagen still, der Himmel war klar und das Meer ruhig, gerade so wie in jener Nacht, in der sein Bruder ertrank, weshalb es für Harald keinen Grund zu sterben gab. Genau genommen hatte keiner von ihnen dafür einen Grund. Weder Mats noch Harald und gewiss nicht Martin Crosbie, der gar nicht erst hätte hier sein sollen. Jeder weiß das, und obwohl die meisten Leute für alles Mögliche eine Erklärung gefunden und sich das, was sie nicht erklären konnten, aus dem Kopf geschlagen haben, weiß ich, dass wir immer noch daran denken, wir alle, wenn wir allein sind, wenn wir in Gedanken die Abfolge der Ereignisse durchgehen und uns das Unmögliche zu erklären
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