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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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wie begierig sie waren auf ihre Ansichten zu Malerei, Literatur und zum Leben im Allgemeinen, so war es interessant – zumindest für mich –, dass keiner von ihnen je fragte, was für einen Platz denn ich im großen Lebensplan einnahm. Mutter war eine alleinstehende Frau mit einer Tochter im Teenageralter, dennoch wurde nie gefragt, wer mein Vater war oder wo er sich gerade aufhielt – und das fand ich schon seltsam, auch wenn ich wusste, dass, hätten sie gefragt, Mutter nichts gesagt hätte. Schließlich hatte sie selbst mir nie mehr als nur das absolut Notwendige erzählt. Als ich noch kleiner war, antwortete sie mir irgendwann auf meine vielen Fragen, sie habe auf einer Party in Oslo einen Mann kennengelernt – dessen Namen, sagte sie, sei nicht weiter von Belang –, und sie sei kurz mit ihm zusammen gewesen, doch sei er dann unerwartet nach Argentinien gezogen und der Kontakt mit ihm abgebrochen. Laut dieser Version der Ereignisse verließ sie der Mann, um seinen eigenen Interessen zu folgen, weshalb Mutter zum Besten aller Beteiligten beschloss, mich allein zu erziehen – und ich nahm ihre Geschichte für bare Münze, so merkwürdig dies auch klingen mag. Natürlich machte es mir eine Weile zu schaffen, dass sie mir seinen Namen nicht sagen wollte, doch in diesem Punkt blieb sie unerbittlich, und wenn Mutter einmal einen Entschluss gefasst hat, kann kein Mensch auf der Welt sie umstimmen. » Das ist alles lange her«, hätte sie gesagt. » Außerdem geht es uns doch gut, oder nicht?« Und ich musste zugeben, dass es uns tatsächlich gut ging. Einmal hörte ich die Freier über mich reden, darüber, wie schwierig es doch für mich sein müsse, im Schatten einer solch bemerkenswerten Frau aufzuwachsen, und einen langen Nachmittag grübelte ich über ihre Worte nach, ehe ich entschied, dass das, was sie gesagt hatten, schlichtweg Unsinn war. Ich hielt mich nicht für jemanden, der im Schatten meiner Mutter aufwuchs. Ich lebte in meiner eigenen Welt, die Mutter für mich vorbereitet, mir dann aber überlassen hatte, damit ich sie nach meinen eigenen Wünschen formte. Mutter lebte so, wie sie es wollte, und ich habe immer gewusst, dass die Arbeit für sie an erster Stelle stand, doch genau das gab mir die Freiheit, so zu leben, wie ich es wollte, und selbst zu entscheiden, was für mich an erster Stelle stand; außerdem habe ich nie daran gezweifelt, dass sie recht hatte. Uns ging es gut. Wir hatten das Haus, wir hatten sogar eine ganze Insel, also genügend Raum und Ruhe, unser Leben nach eigenem Gutdünken zu führen, ohne uns von irgendwem etwas vorschreiben zu lassen; darüber hinaus waren wir mehr oder weniger unabhängig und durchaus in der Lage, uns um uns selbst zu kümmern. Wir brauchten nichts von niemandem.
    Mutter brauchte nicht nur nichts von anderen Menschen, sie waren ihr mehr oder weniger egal, so sehr ging sie in der eigenen Arbeit auf. Sie suchte keine Gesellschaft, tolerierte sie nur – und im Laufe der Jahre hatte sich eine feste und für sie befriedigende Routine entwickelt, die ihr ein Minimum an menschlichem Kontakt mit einer leicht zu kontrollierenden Gruppe von Männern gewährte. Samstags, von elf Uhr vormittags bis zwei Uhr mittags, kamen die Freier, saßen im Esszimmer, tranken Tee, aßen Kuchen, den Mutter in einem Geschäft in Straumsbukta bestellt hatte, musterten einander aufmerksam über den Tisch hinweg – und redeten. Ohne Unterbrechung, unermüdlich, verstummten eigentlich nie, wechselten sich nur ab oder redeten querbeet durcheinander, um ihre Geschichten zu spinnen, um Theorien und Ergreifendes auszubreiten, während Mutter zuhörte und sich willkürlich Einzelheiten, Fragmente und Informationsbrocken herauspickte, die sie stillschweigend für später aufbewahrte. Ich ertrug es nicht. Meist verdrückte ich mich, ehe sie eintrafen, und Mutter wusste Bescheid, doch machte es ihr nichts aus, solange ich mich nicht allzu demonstrativ verhielt. Da ich gestern jedoch die halbe Nacht aufgeblieben war und am Fenster gesessen hatte, um stundenlang in die erste Mittsommerdämmerung hinauszustarren, hatte ich an diesem Morgen verschlafen. Die Freier hatten es sich längst bequem gemacht, der Tee war serviert und das dänische Porzellan gedeckt, Sandwiches und Petits Fours, Waffeln und Schokoladenkekse waren angerichtet, und an ihrem Ehrenplatz stand die große Weidenmotivschale mit den Cremeschnitten, die Rott so liebte. Ich sah ihn vor mir: pferdegesichtig, langhaarig, stets mit
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