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41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)

41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)

Titel: 41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mara Ferr
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Das Tor
    In den letzten vierzig Jahren erschien es manch einem als himmlische Pforte zur vollkommenen Glückseligkeit. Manch einem aber erschien dahinter der Tod.
    Das schwerfällige Eingangstor des dreistöckigen Wohnhauses Nummer 41 in der Rue Loubert war im 18. Jahrhundert gefertigt worden. Das sah man ihm auch an. Den schmiedeeisernen Beschlägen hatten Regen, Hitze und sogar die Pest erstaunlicherweise nicht viel anhaben können, doch das massive Eichenholz hatte sich dem Zahn der Zeit gebeugt und war rissig geworden. Entsprechend asymmetrisch hingen beide Türflügel in ihren verbogenen Angeln. Es schien, als würden sie nur von ihrem Schloss zusammengehalten, das den vorbei flanierenden Passanten unwillkürlich ins Auge stach: Ein hochmodernes Zahlencode-Schnappschloss, verbunden mit einer dezent in den Mauerstoß integrierten Videosprechanlage. Diese High-Tech Anlage bildete einen beinahe obszönen Gegensatz zu dem in seinem gesamten Erscheinungsbild altehrwürdigen Gebäude.
    Nicht ein einziger Hauseingang der Rue Loubert war auf diese elektronische Weise gesichert, fühlte man sich doch inmitten der umtriebigen Seitenstraße von Paris relativ sicher und stets umgeben von geschäftigem Treiben. Einige der neueren Boutiquen verfügten zwar über Alarmanlagen, Bistros und Bars jedoch verließen sich wie seit Anbeginn ihres Bestehens auf rostige, ratternde Rollläden. Und die dazwischen erhaltenen Wohnhäuser waren im Laufe der Jahrzehnte unzählige Male restauriert, weniger aber modernisiert worden. Dafür ließen sich in regelmäßigen Abständen Polizeistreifen blicken, Flics, die verlässlich ihre Runden drehten und gerne auf das eine oder andere Gläschen zwischendurch einkehrten.
    Das Haus Nummer 41 lag beinahe verborgen zwischen einem Bistro und einer Patisserie, die beide den schmalen Bürgersteig nutzten, um ihren Gästen an winzigen runden Tischchen und unbequemen Stühlen zumindest die Andeutung französischen Flairs zu bieten. Touristen genossen diese Atmosphäre; sie fühlten sich wohl in dieser lebhaften Straße, fernab vom eigentlichen Großstadtrummel. Außerdem bildete die Rue Loubert eine unfehlbare Nord-Süd-Achse durch Paris und wurde gerne als Orientierungshilfe oder Abkürzungsroute genutzt.
    Das ganze Jahr über herrschte in der Rue Loubert also rege Betriebsamkeit. Hunderte von Menschen gingen täglich an dem knorrigen, wuchtigen Eingangstor vorbei; die meisten beachteten es kaum, einige wunderten sich über das moderne Sicherheitsschloss, nur wenigen aber wurde Einlass gewährt.

Donnerstag
    Der Junge
    Ein Türflügel wurde forsch von innen aufgerissen und ein großgewachsener Junge stolperte unbeholfen aus dem Haus. Ihm folgte, die perfekt dunkelrot lackierten Fingernägel fest in seine schmächtige Schulter gekrallt, eine elegante ältere Frau. Ihre hohen Absätze klackten auf dem Kopfsteinpflaster, als sie mühsam und ungehalten versuchte, gleichzeitig die Balance, den Jungen und ihre Schlüssel zu halten. Ihr Gesichtsausdruck war verzerrt vor Abscheu, während der des Jungen ein dümmliches Grinsen zeigte.
    „Du widerst mich an!“, fauchte sie ihm zu, so leise, dass nur er es hören konnte. Sie stieß ihn beinahe grob von hinten an, in Richtung des Gehsteigs, weg von sich.
    Der Junge drehte sich zu ihr um und lächelte freudig, er brabbelte laut und versuchte dabei, seine zittrige Hand in die Nähe ihres Gesichtes zu führen.
    „Graaa, braaaab, maaaah!“, gurrte er selig und Speichelfäden zogen sich dabei über sein Kinn.
    „Verschwinde!“, stieß sie aus zusammengebissenen Zähnen hervor und blickte sich unauffällig dabei um.
    Sie wollte verhindern, dass Gäste, die an den Tischchen des Bistros und der Patisserie ihre Drinks oder Baguettes genossen, auf sie und den Jungen aufmerksam wurden. Sie drängte ihn mit einem letzten festen Stoß gegen seinen schmalen Rücken weiter von sich, drehte sich schnell um und flüchtete ins Haus zurück. Das Tor fiel hinter ihr ins Schloss, bot ihr einen uneinnehmbaren Schutzschild gegen die Welt draußen. Mit dem letzten Stoß hatte der Junge sein Gleichgewicht verloren und er strauchelte, seine Arme ruderten verzweifelt in der Luft, aber er lachte dabei und schien durchaus glücklich. Nun waren doch etliche Gäste auf ihn aufmerksam geworden und beobachteten ihn mehr oder weniger unverhohlen.
    Bei näherer Betrachtung wurde schnell klar, dass der Junge kein Junge mehr war, sondern ein Mann von ungefähr vierzig Jahren. Er wirkte auf den
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