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41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)

41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)

Titel: 41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mara Ferr
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ersten Blick kindlich, weil sein Gesicht faltenfrei, seine Züge glücklich und entspannt waren. Seine graugrünen Augen strahlten, wenngleich mit leerem, dumpfen Blick. Sein Lächeln war das eines geistig zurückgebliebenen Menschen.
    Er wäre zweifellos gefallen, wäre ihm nicht ein alter Mann zu Hilfe geeilt und hätte ihn am Oberarm gepackt, zurückgerissen und festgehalten. Dabei lachte auch der Alte und redete auf den Jungen ein, beide freuten sich ganz offensichtlich gemeinsam. Vereinzelte Wortfetzen klangen zu den Gästen: „Luc, mein Junge, … gut gemacht … Luc … wir gehen …“
    „Braaaab, graaaam, baaaaab!“, rief der Sohn begeistert und umarmte den Vater.
    Sie klopften sich gegenseitig auf die Schultern, lachten, der Vater strich seinem Sohn übers Haar, fasste nach seiner Hand und spazierte mit ihm entlang der Bistros, Bars und Geschäfte die Rue Loubert Richtung Norden, ohne Passanten, Gäste oder Touristen eines Blickes zu würdigen.
    Beim Gehen erst sah man, dass der Junge große Probleme mit seinen Armen und Beinen hatte. Er hinkte stark, zog ein Bein nach sich, fuchtelte unkontrolliert mit den Armen und riss hin und wieder den Kopf ruckartig nach hinten. Dennoch vermittelte er den Eindruck eines seligen Menschen. Mehr noch, seine Wangen waren gerötet, erregt stieß er seine gebrabbelten Laute zwischen verkrampften Lippen hervor, quietschte vor Vergnügen und wiegte seinen Oberkörper dabei schnell vor und zurück.
    Dass er gestoßen worden war, dass er sich selbst kaum auf den Beinen halten konnte, dass er in aller Öffentlichkeit beschimpft worden war – all das hatte seinem Frohsinn keinen Abbruch getan. Er hatte es bereits vergessen oder gar nicht wahrgenommen. Vielleicht war es ihm sogar egal. Vielleicht war er abgestumpft gegen Beleidigungen, Beschimpfungen, Demütigungen und körperliche Attacken. Vielleicht aber war er einfach nur glücklich.
    Der alte Mann lächelte mit ihm, nickte ihm immer wieder zu, bestätigte ihn in seinem Glücklichsein, flüsterte ihm vertraut ins Ohr, lachte zwischendurch wieder laut auf und führte den Jungen an der Hand sicher durch den Menschenstrom, der sich an diesem späten, heißen Sommernachmittag die Rue Loubert entlang wälzte.

Louise
    Louise lehnte sich erschöpft mit dem Rücken an das Tor, den Schlüssel in ihrer Hand fest umklammert. Im Inneren des Hauses war es dunkel und angenehm kühl und sie atmete einige Male tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Sie war wütend. Wütend auf den Jungen, aber auch wütend auf sich selbst. Wie hatte sie sich nur dazu hinreißen lassen können, Luc zu schlagen?
    Auf dem kleinen Bildschirm neben dem Türstock konnte sie sehen, wie auf der Straße der Alte den Jungen umarmte, ihm mit einem Taschentuch aus feinstem Leinen mit handgesticktem Monogramm den Sabber vom schokoladeverschmierten Mund wischte. Dann machten sich die beiden auf ihren Weg nach Hause, gut gelaunt und in liebevoller Zweisamkeit.
    Ihr blieb keine Zeit mehr, sich umzuziehen und zu erfrischen. Auf ihrem teuren, goldgelben Sommerkleid prangte über dem linken Knie ein hässlicher Schokoladenfleck. Sie hätte kreischen können vor Zorn und Ekel. Es war ausgesprochen dumm, ein solches Kleid bei dem Jungen zu tragen. Er würde es nicht einmal bemerken, wenn sie ihn in ihrem abgetragenen rosa Bademantel empfangen würde. Und würde er es tatsächlich bemerken, könnte er es niemandem erzählen. Aber heute musste sie sich gleich nach dem Jungen einem weiteren Gast widmen und wollte sich die Mühe sparen, sich zwischen beiden Terminen um neue Kleidung kümmern zu müssen. Außerdem kam sie mit dem Jungen kaum in engen körperlichen Kontakt. Höchstens berührten hin und wieder seine Hände ihre rotblonden, langen Haare, während sie über seinen Schoß gebeugt ihrer Arbeit nachging und er dabei auf einem bequemen Stuhl lümmelnd mit den Armen Löcher in die Luft stieß und sein entzücktes Gebrabbel von sich gab.
    Um ihn ruhig zu stellen und damit er ihre Frisur nicht ruinierte, hatte sie ihm heute ein Schokoladenbonbon in die Hand gedrückt. Verpackt in silberglänzende Zellophanfolie waren diese Bonbons seit vierundzwanzig Jahren Lucs heißbegehrte Belohnung. Noch nie hatte er ein einziges Bonbon mit seinen fahrigen Fingern aus seiner Hülle befreien und ohne Hilfe in den Mund stecken können.
    Bis jetzt.
    Ausgerechnet heute war ihm dieses für ihn bisher unlösbare Kunststück zum ersten Mal in seinem Leben gelungen. Louise war gerade damit
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