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Bob und wie er die Welt sieht

Bob und wie er die Welt sieht

Titel: Bob und wie er die Welt sieht
Autoren: James Bown
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Der Nachtwächter
    E s war einer dieser Tage, an denen einfach alles schiefläuft.
    Los ging es schon vor dem Aufstehen, weil der Wecker nicht klingelte und ich verschlief. Deshalb verließen mein Kater Bob und ich viel zu spät das Haus, um den Bus zu erwischen, der uns täglich von meiner Wohnung in Tottenham, einem nördlichen Stadtteil von London, nach Islington brachte, wo ich die Obdachlosenzeitung The Big Issue verkaufte. Wir saßen gerade mal fünf Minuten im Bus, als die nächste Panne passierte.
    Bob saß wie immer auf dem Sitz neben mir und döste mit halb geschlossenen Augen. Plötzlich hob er ruckartig den Kopf und sah sich argwöhnisch um. In den zwei Jahren, die er jetzt bei mir war, hatte ich gelernt, seine Vorahnungen ernst zu nehmen. Sekunden später füllte sich der Bus mit ätzenden Rauchschwaden. Der Busfahrer verkündete mit aufgeregter Stimme, die Fahrt sei hier und jetzt zu Ende. Er forderte uns Passagiere auf, sofort und »auf der Stelle« auszusteigen.
    Das darauf folgende Chaos war zwar nicht vergleichbar mit der Evakuierung der Titanic, aber der Bus war ziemlich voll, und alle Fahrgäste drängelten und schubsten mit viel Ellbogeneinsatz zu den Ausgängen. Ich verließ mich lieber auf Bob, und der hatte es gar nicht eilig. Deshalb warteten wir, bis sich der Tumult gelegt hatte, und stiegen als Letzte aus. Eine weise Entscheidung, wie sich schnell herausstellte. Drinnen hatte es zwar bestialisch gestunken, aber es war wenigstens warm gewesen.
    Der Bus war genau vor einer großen Baustelle zum Stehen gekommen. Durch diese Lücke in der Häuserreihe pfiffen uns eisige Sturmböen, denen wir Passagiere jetzt ungeschützt ausgeliefert waren, gnadenlos um die Ohren. Zum Glück hatte ich heute Morgen trotz aller Eile beim Verlassen der Wohnung noch einen besonders dicken Schal um Bobs Hals geschlungen.
    Die Ursache für die Rauchschwaden im Bus war schnell gefunden. Es war nur ein überhitzter Motor, aber der Fahrer musste trotzdem auf einen Mechaniker warten. Also standen die meisten von uns über eine halbe Stunde zitternd und frierend am Straßenrand und warteten auf den Ersatzbus.
    Der morgendliche Berufsverkehr tat sein Übriges, und so brauchten wir an diesem Tag tatsächlich geschlagene 90 Minuten bis zu unserer Haltestelle in Islington. Wir waren unendlich spät dran. Ich würde die Mittagspause der Geschäftsleute verpassen, eine lukrative Zeit für den Verkauf der Big Issue .
    Die letzten fünf Minuten Fußweg zu unserem Stammplatz an der U-Bahnstation Angel dauerten leider auch wieder länger. So war das immer, wenn ich Bob dabei hatte. Manchmal lief er an der Leine neben mir her, aber meistens saß er auf meiner Schulter. Da hatte er den besten Überblick, wie ein kleiner Pirat im Aussichtskorb auf dem höchsten Mast seines Schiffes. Sogar in einer Stadt wie London waren wir beide kein alltäglicher Anblick. Deshalb kamen wir selten mehr als zehn Schritte am Stück voran. Immer wieder wurden wir angehalten, weil jemand Bob streicheln oder ein Foto von uns machen wollte.
    Gestört hat mich das noch nie. Bob ist ein wunderschöner Kater mit einer ganz besonderen Ausstrahlung, und er genießt die Aufmerksamkeit von Fremden – solange sie ihm wohlgesinnt sind. Aber genau das kann man bei Fremden nie wissen.
    Die Erste, die uns aufhielt, war eine kleine Frau mit russischem Akzent. Sie hatte vom Umgang mit Katzen genauso viel Ahnung wie ich vom Vortragen russischer Gedichte.
    »Oh, koschka , so hübsch«, säuselte sie bei Bobs Anblick und blieb vor uns stehen. Sie hatte uns in der Camden Passage erwischt, einem schmalen Durchgang mit vielen Restaurants, Bars und Antiquitätenläden, der auf der südlichen Seite von Islington Green entlangläuft. Ich blieb stehen, damit sie Bob gebührend bewundern konnte, aber sie streckte sofort ihre Hand aus und wollte ihn an der Nase berühren.
    Das war ein schwerer Fehler. Bob reagierte instinktiv auf diesen »Angriff«. Er wehrte ihre Hand mit einem blitzschnellen Pfotenhieb ab, wobei er gleichzeitig ein lautes, empörtes »iiiiiauuuuuu« von sich gab. Diese kratzbürstige Reaktion, wenn auch ohne Krallen, hatte die Dame so erschreckt, dass mir nichts anderes übrig blieb, als mir Zeit zu nehmen, um sie zu beruhigen.
    »Is’ ok, is’ ok. Ich wollte nur freundlich sein«, stotterte sie, aschfahl im Gesicht. Sie war schon älter, und ich hatte Angst, sie würde gleich mit einen Herzanfall zusammenklappen. »So etwas sollten Sie nie tun, wenn Sie ein
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