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Verheißung des Glücks

Verheißung des Glücks

Titel: Verheißung des Glücks
Autoren: Johanna Lindsey
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Erstes Kapitel
     
    »Du magst deine Mutter nicht besonders, nicht wahr, mein Junge?« Lincoln Ross Burnett, der siebzehnte Viscount von Cambuiy musterte seine Tante Henriette erstaunt. Sie saß ihm gegenüber in der Kutsche, die gemächlich über die steinigen Straßen des schottischen Hochlands rumpelte. Ihre Frage hätte ihn eigentlich nicht überraschen sollen, und aus dem Munde jedes anderen Menschen hätte er sie einfach überhört. Doch in der engen Kabine war es schwierig, dem forschenden Blick seiner Tante auszuweichen.
    Tante Henry — nur ihr Mann und Lincoln durften sie so nennen — war eine sympathische Frau von fünfundvierzig Jahren, die einem der wohlgenährten kleinen Engel auf barocken Altarbildern ähnlich sah. Manchmal mochte sie ein wenig zerstreut wirken, aber das machte sie nur noch liebenswerter. Sie war klein und füllig, und ihr rundes Gesicht wurde von unordentlich in alle Richtungen abstehenden goldenen Löckchen umrahmt. Ihre Tochter Edith, die mit in der Kutsche saß, glich ihr aufs Haar, war eine jüngere Version der Mutter. Auf den ersten Blick war keine der beiden Frauen im eigentlichen Sinne hübsch zu nennen — ihre Schönheit erschloss sich erst bei näherem Hinsehen. Doch sie hatten viele andere Eigenschaften, die sie sympathisch machten.
    Lincoln liebte diese beiden Frauen. Sie und nicht etwa die Mutter, die im Hochland geblieben war, nachdem sie ihn vor neunzehn Jahren zu seinem Onkel nach England geschickt hatte, betrachtete er als seine Familie. Gerade einmal zehn Jahre alt war er damals gewesen, und noch heute erinnerte er sich an das Gefühl tiefer Verzweiflung, als man ihn aus seinem Zuhause he-rausriss und zu völlig fremden Menschen schickte, bei denen er fortan leben sollte.
    Aber Richard und Henriette Burnett waren für Lincoln nicht lange Fremde geblieben. Von Anfang an behandelten sie ihn wie ihren eigenen Sohn. Ein Jahr nach seiner Ankunft kam Edith zur Welt, und die Burnetts mussten sich irgendwann damit abfinden, dass sie ihr einziges leibliches Kind bleiben würde. Deshalb hatte der Beschluss seines Onkels Richard, Lincoln als Erben der Familie einzusetzen, auch niemanden überrascht. Sogar Lincolns Nachname war geändert worden, damit der Name und der Titel der Burnetts weiter Bestand hatte.
    Eigentlich hätte Lincoln längst mit seinem Schicksal versöhnt sein sollen. Er lebte nun schon so lange in England; die Kinderjahre, die er in Schottland verbracht hatte, lagen weit zurück. Nach einiger Zeit hatte er seinen schottischen Akzent abgelegt, und kaum einer seiner jetzigen Bekannten ahnte, dass er aus Schottland stammte, so gut passte er in die gehobene englische Gesellschaft, in der die Burnetts verkehrten. Man nahm gemeinhin an, Ross sei sein zweiter Vorname und nicht, wie es sich wirklich verhielt, sein eigentlicher Nachname.
    Nein, nach all den Jahren hätte ihn die Vergangenheit wirklich nicht mehr belasten sollen, doch er kam nicht gegen sein Unbehagen an. Er versuchte, sich die Bitterkeit nicht anmerken zu lassen. Doch die Frage seiner Tante zeigte ihm nur allzu deutlich, dass sie sich nicht täuschen ließ.
    Wenn sie glaubte, es sei zu seinem Besten, konnte Tante Henry sehr beharrlich, ja geradezu stur sein. Lincoln erinnerte sich mit Schaudern an so manchen Tag, an dem sie ihm schon wegen einer leichten Erkältung nicht erlaubt hatte, das Bett zu verlassen. Inzwischen ließ sie ihn jedoch meist seine eigenen Entscheidungen treffen und das schätzte er ganz besonders an ihr. Wenn sie glaubte, dass bestimmte Dinge sie nichts angingen, beließ sie es auch dabei. Welche Gefühle er seiner Mutter entgegenbrachte, fiel aus seiner Sicht in diesen Bereich.
    Er wollte nicht darüber sprechen, und deshalb versuchte er, einer Antwort auszuweichen, indem er scheinbar ungläubig fragte: »Wie kommst du denn nur auf einen solchen Gedanken?«
    »Seit unserer Abreise brütest du nun schon vor dich hin. Das sieht dir nicht ähnlich. Du bist so still und angespannt - so kenne ich dich gar nicht. Seit Edith eingeschlafen ist, schweigst du wie ein Fisch.«
    Damit hatte sie ihm unwissentlich das Stichwort für eine passable Ausrede geliefert. »Mir geht eben so einiges im Kopf herum, seit du verkündet hast, Edith würde in dieser Saison im guten alten Stil debütieren. Und dann ihr Wunsch, gerade mich als ihren Anstandswauwau mit zu sämtlichen Einladungen zu nehmen ... Ich habe nicht die geringste Ahnung, was man vom Begleiter einer jungen Dame erwartet, die gedenkt
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