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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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offensichtlich keiner erwartete, je erhört zu werden.
    Ich setzte mich auf und sah zum Wecker auf dem Nachtschränkchen: exakt elf Uhr fünfundfünfzig. Sie waren also seit fast einer Stunde da, und ich war noch im Haus, dabei hätte ich längst unterwegs sein sollen. Meist verbrachte ich die Samstagvormittage mit Kyrre Opdahl und träumte in seiner unaufgeräumten Küche über einem Becher Kaffee vor mich hin, während er an irgendeiner alten Wanduhr oder einem Außenbordmotor herumbastelte, an Sachen, die niemand sonst reparieren konnte, oder ich war draußen beim Bootshaus, wo er den Fähren und Frachtern nachsah auf ihrer Route zum Nordkap und nach Russland, oder bei seiner kleinen Sommerhütte, seiner Hytte , während er sauber machte, sie für die nächsten Mieter herrichtete – eigentlich kam es nicht darauf an, wo ich mich aufhielt, solange ich nicht hier war. Ich blieb gewöhnlich fort, bis die Freier wieder gegangen waren, und dann, wenn ich heimkam, tat ich, als wäre nie jemand im Esszimmer gewesen. Von den Eindringlingen würde keine Spur mehr zu sehen sein: Mutter würde das Geschirr abgeräumt und die Krümel vom Tisch gewischt haben, ehe sie nach oben in ihr Atelier ging, um an dem zu arbeiten, was immer sie gerade malte, und ich hatte das Haus erneut ganz für mich. In Flur und Esszimmer und auf der Treppe war es wieder vollkommen still, unnatürlich still. Still, leer und scheinbar unkontaminiert.
    Die Freier. Das war mein Name für sie, nicht ihrer: Freier, wie die Männer im griechischen Mythos, gekommen, um Penelope zu betören, zu bezirzen oder auch nur, um lang genug auszuharren, während ihr Gatte auf weindunklen Meeren umherirrte und sich mühte, den Weg nach Hause zu finden. Als ich noch klein war, hatte Mutter mir die Geschichte vorgelesen, diese und auch die anderen klassischen Sagen von Helden, Wikingern und den siebten Söhnen siebter Söhne, die sie so sehr liebte – ich glaube, es amüsierte sie ein wenig, als das Leben anfing, die Kunst zu imitieren, und diese Männer begannen, sie mit Geschichten und Geschenken zu hofieren, geduldige Männer, die in diesem subarktischen Land jahrelang darauf gewartet hatten, dass jemand wie sie zu ihnen kam. Angelika Rossdal. Die bekannte Malerin, die der großen weiten Welt den Rücken gekehrt hatte und in den Norden gekommen war, um als Einsiedlerin auf einer abgelegenen Insel zu leben, eine Malerin, aber auch eine unglaubliche Schönheit, eine, auf die sie alle hier ihr Leben lang gehofft hatten, um sich nun hoffnungslos in sie zu verlieben. Manche Männer, die im Laufe der Jahre unser Haus besuchten, waren verheiratet, manche kamen einen Monat lang oder zwei zu den Teepartys am Samstagvormittag, um dann, von Mutters Schönheit und Reserviertheit betrübt, wieder ihrer Wege zu ziehen. Doch die Kerntruppe – Harstad, Ryvold und Rott – schaute jede Woche vorbei, komme, was da wolle, um unerlösbar verzaubert an ihrem Tisch zu sitzen; Romantiker der alten Schule, die einzig fürchteten, dass ihre Gebete erhört werden könnten. Zur Kerntruppe zählten ausschließlich Junggesellen der einen oder anderen Art, und sie stammten alle nicht von hier. Es waren Männer, die aus den unterschiedlichsten Gründen beschlossen hatten, im hohen Norden zu leben, sei es aus Schüchternheit oder aus einem übertriebenen Verlangen nach Ruhe oder weil sie vor irgendwelchen tiefer im Süden erhörten Gebeten geflohen waren. Mutter tat nichts, um sie zu ermutigen, doch muss ich sagen, dass sie ebenso wenig tat, um sie zu entmutigen. Im Gegenteil, nie verriet sie irgendwem, was sie empfand oder nicht empfand. Sie servierte Tee und Kuchen und hörte ihren Besuchern zu, wie sie miteinander darin wetteiferten, Geschichten vorzutragen, die ihre Zustimmung finden könnten, wehrte gelegentliche Versuche ab, sie in intimere Gespräche zu verwickeln – und wenn sie gingen, machte sie sich wieder an die Arbeit, als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
    In jenem Sommer fand dieses Ritual bereits seit Jahren statt – so lange schon, dass es zu einem festen Bestandteil unseres Lebens geworden war –, und ich glaube, Mutter überraschten die Aufmerksamkeiten nicht nur, sie verwirrten sie auch ein wenig, so wie es Penelope ergangen sein musste, als ihre Bewunderer immer weiter warteten, Tag um Tag, Jahr um Jahr, während sie bei Licht ihr großes Tuch webte und bei Dunkelheit das Gewebte wieder löste.
    Und doch, bedenkt man, wie sehr sie diese mysteriöse Frau faszinierte,
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