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Kells Rache: Roman (German Edition)

Kells Rache: Roman (German Edition)

Titel: Kells Rache: Roman (German Edition)
Autoren: Andy Remic
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Prolog
    SEELENFRESSER
    Es ist ein tintenschwarzer Traum, eine rasiermesserscharfe Erinnerung. Ein gefrorener Splitter der Zeit, der sich wie eine sterile Nadel in seinen Verstand bohrt. Nienna, seine wunderschöne Nienna, seine süße junge Enkeltochter … Sie stehen am Rand eines breiten, gewundenen Flusses. Die Sonne scheint warm auf ihre Gesichter und schimmert auf dem wogenden Schilf. Kell zeigt ihr, wie man angelt. Dirigiert ihre Hände. Ihre langen, schlanken Finger bilden einen starken Kontrast zu seinen runzligen, vernarbten Bärentatzen. Er drückt den Köder auf den Haken, was sie mit einer angewiderten Grimasse quittiert, und wirft dann die Schnur hinaus. Anschließend sitzen sie in behaglichem Schweigen nebeneinander am Ufer, bis Kell bemerkt, wie sie ihn aufmerksam betrachtet. Er dreht sich zu ihr herum, kratzt sich den grauen Bart und erwidert ihren klaren Blick. Sie lächelt strahlend über das ganze Gesicht.
    »Großvater?«
    »Ja, Äffchen?«
    »Ist Angeln nicht eigentlich … ich meine, ist es nicht irgendwie ungerecht?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, irgendwie ist das doch eine hinterhältige Falle, hab ich recht? Man steckt den Wurm an den Haken, lässt ihn baumeln, der ahnungslose Fisch schwimmt vorbei, schnappt danach … und du ziehst ihn heraus und isst ihn zum Abendessen. Für den Fisch ist das nicht gerecht.«
    »Aber wie sollte ich ihn sonst fangen?«, erwidert Kell und runzelt die Stirn. Dann lacht er. »Sicher, ich könnte dich ins Wasser werfen. Dann könntest du hinter all den kleinen Fischen her schwimmen und sie mit den Zähnen schnappen!« Er tut so, als wolle er sie packen und in den tiefen Fluss werfen. Sie quietscht vor Vergnügen und krabbelt so schnell wie möglich die Böschung hinauf. Dabei beschmiert sie sich Hände und Kleidung mit Schlamm.
    Nienna schnalzt tadelnd mit der Zunge. »Also wirklich, Großvater!«
    »Ach, ist doch nur ein bisschen Schlamm. Das wasche ich ab.«
    Eigentlich hätte Kell ihr gerne gesagt, dass das ganze Leben eine Falle ist, eine Täuschung, ein gemeiner Trick eines raffinierten Illusionisten. Das Leben führt einen an der Nase herum, lässt einem verlockende Köder an matten Eisenhaken vor der Nase baumeln, etwas wie Glück, Gesundheit, Wohlstand, Freude. Man greift mit beiden Händen danach, während man den Mund aufreißt wie ein schwachsinniger Narr an einem Königshof. Aber das Leben ist ein Miststück, und gerade wenn man glaubt, man hätte es gepackt, hätte seinen Traum gefunden, strafft sich die Schnur, und man wird an Eiern, Eingeweiden und – falls vorhanden – Hirn zurückgerissen. Man baumelt am Haken und wird geschlachtet. So ist das Leben. Das ist Realität, der Ernst des Lebens. Aber Kell sagt nichts dergleichen. Er hält seinen Mund fest geschlossen, denn er will diesen Augenblick nicht verderben, diese einfache Freude, mit seiner begabten, optimistischen Enkelin am Selenau zu angeln …
    … Jetzt standen Kell und Saark auf dem hohen Dach des baufälligen, schiefen Turms in Alt Skulkra. Das hier war ihre Falle. Den Köder hatte General Graal ausgelegt, seine Eiserne Armee, seine widerlichen, perversen Canker, und sie hatten wie Narren, vollkommen naiv, den Haken geschluckt. Sie hatten sich selbst in Alt Skulkra in eine Falle manövriert, sich eine unmögliche Aufgabe und einen schrecklichen Kampf aufgehalst.
    Kell drückte seine schwarze Axt Ilanna an die Brust. Seine blutverschmierten Knöchel traten weiß hervor, sein Gesicht war eine eiserne Maske der Wut. Saark stand angespannt neben ihm. Er streckte sein schlankes Rapier vor sich aus; es vibrierte schwach. Sein Gesicht war eine dunkle Silhouette der Furcht.
    Unter ihnen, im Bauch des alten Turms heulte etwas. Es war ein hoher, klagender Laut und viel zu wild, als dass er menschlich hätte sein können. Ihm folgte ein Echo aus Knurren und Grollen, dazu mächtige, dumpfe Schläge und das Kratzen von Messingklauen, das laut durch die samtene Schwärze hallte.
    Das waren die Canker … und sie gierten nach frischem Blut!
    Kells Miene verfinsterte sich wie eine Gewitterwolke. Saarks Gesicht dagegen war schwerer zu entziffern; Myriams Männer hatten es übel zugerichtet. Aus einer frischen Stichwunde quoll Blut und tränkte Saarks zerfetztes und schmutziges Hemd. Kell holte tief Luft. Der ölige Gestank des Rauchs von Scheiterhaufen drang ihm in die Nase, auf denen die Leichen der letzten Schlacht verbrannt wurden. Er hob Ilanna, und einen Augenblick schien er mit der durch
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