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Arztromane

Arztromane

Titel: Arztromane
Autoren: Sissi Kaipurgay
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Der Therapeut
    Dr. Lothar Schmidtbau hat einen  merkwürdigen Patienten. Charles Browning scheint kein Problem zu haben. Aber was will der Mann dann bei ihm?
     
    Charles Browning kommt seit einem Jahr in meine Praxis und ich höre ihm zu. Dabei b e wundere ich seine schönen Hände und tue so, als würde ich mir etwas notieren. Er erzählt mir von den Kunden (er ist Versicherungsvertreter), seinen Erfolgen, Freizeitunternehmu n gen und was er am Wochenende gekocht hat. Ich kenne seine bevorzugten Farben und bin darüber im Bilde, dass er auf flachbrüstige Frauen steht. Eigentlich weiß ich alles von ihm, nur nicht, weshalb er zu mir kommt.  
    Ich bin Psychotherapeut und gewohnt, dass die Leute mich volllabern. Dass ich dabei manchmal abschalte, merkt keiner, denn ich bin überaus professionell und kann ein Gähnen  durchaus unterdrücken. Charles langweilt mich nicht, ihm höre ich stets aufmerksam zu, auch wenn er mir nur Belanglosigkeiten erzählt. Wahrscheinlich versuche ich auf Ungereim t heiten zu stoßen, irgendeinen Hinweis, worin der Grund für seine Besuche liegt.  
    Hinzu kommt, dass er mir sehr gefällt. Ich fange nie etwas mit Patienten an, da das natürlich unprofessionell wäre und außerdem ist Charles wohl hetero, auch wenn ich dafür noch ke i nen Beweis gefunden habe. Doch die Abwesenheit desselben lässt keinen Umkehrschluss zu, zudem ist das – wie schon erwähnt – sowieso nicht von Belang.  
     
    „Dr. Schmidtbau, denken Sie manchmal an … haben Sie unkeusche Gedanken?“, fragt mich Charles eines Tages völlig überraschend.
    „Tja, das ist wohl normal, wenn man ein gesunder Mann ist“, erwidere ich und male einen stilisierten Penis auf meinen Schreibblock.
    „Und … wenn Sie die haben, was passiert dann?“ Charles hebt den Kopf von der bequemen Liege und guckt mich an.
    Seine Augen sind grün und dicht bewimpert, es wirkt fast weibisch, doch es passt zu ihm. In meinen Augen ist er ein schöner Mann.
    „Dann mache ich, was alle Männer tun“, behaupte ich kühn. „Ich lege selbst Hand an.“
    „Aha“, bemerkt Charles und schweigt anschließend.
    Ich durchbreche die Stille nicht, male geduldig weiter Penisse auf meinen Block und versehe die Hoden mit Haaren. Wirklich begabt bin ich nicht, aber Picasso konnte meines Erachtens auch nicht malen und tat es trotzdem.
    „Dr. Schmidtbau“,  murmelt Charles nach einer Ewigkeit.  „Ist es also  unnormal , wenn man es nicht tut?“  
    Ich zeichne einem der Schwänze ein Grinsen auf die Eichel und überlege.
    „Wenn es Sie juckt, Herr Browning, dann kratzen Sie doch auch, nicht wahr? Das Gleiche ist es mit dem Sexualtrieb. Man muss ihn beseitigen, sonst juckt es immer weiter, verstehen Sie?“
    Stille. Mein Bleistift kratzt über das Papier.
    „Aber ... aber wenn man es einfach nicht  kann ?“  
    Mein Stift durchbohrt den gesamten Block, so sehr triumphiere ich über diesen Durchbruch. Da ist es endlich, das Problem von Charles, um das wir seit einem Jahr herumreden wie um den sprichwörtlich heißen Brei. Ich unterdrücke einen begeisterten Aufschrei und versuche, ganz normal zu wirken.
    „Herr Browning, wollen Sie damit andeuten, dass Sie nicht selbst Hand anlegen  können  oder  wollen ?“  
    Charles kaut auf seiner Lippe herum, kontrolliert sein e Fingernägel, wischt sich ein  Stau b körnchen vom tadellosen Hemd. Er wackelt mit den Füßen, fährt sich mit einer Hand durchs Haar, fummelt in der Brusttasche nach etwas, das nicht da ist, seufzt und kneift schließlich die Augen fest zu.  
    „Ich kann nicht“, flüstert er.
    Mein Bleistift fabriziert ein weiteres Loch im Block, so angespannt drücken meine Finger g e gen das Zeichengerät. Ausgerechnet durch einen  stilisierten  Hoden. Ich hole tief Luft und versuche, mich zu entspannen.  
    Ein neuer Penis entsteht, während ich frage: „Ist es Ekel oder fühlen Sie Schuld, wenn  es  passiert?“  
    Ich linse heimlich zu Charles, der sich angestrengt mit dem Ring an seiner linken Hand b e schäftigt. Bisher habe ich den Reif für einen Ehering gehalten, doch langsam glaube ich, dass Charles gar nicht verheiratet ist. Merkwürdig, hat er nicht von einer Frau gesprochen?  Während ich abwesend dem Schwanz einen Sack verpasse und die Härchen akribisch d a ran abbilde, überlege ich, was mein Patient mir im letzten Jahr erzä hlt hat. Erst in diesem Moment  fällt mir auf, dass er sich stets an Verallgemeinerungen festgehalten hat.  
    Wir haben gekocht
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