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Das letzte Sakrament

Das letzte Sakrament

Titel: Das letzte Sakrament
Autoren: Thomas Kowa
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1
    »Das Leben geht weiter«, flüsterte er und tötete ihn. »Immer weiter, weiter, endlos weiter.«
    Der rote Saft des Lebens floss aus der Wunde, als stamme er aus einer jungfräulichen Quelle. So durchdrungen von ewiger Vitalität, so rein, so geheimnisvoll und doch Träger exakter Informationen. Selbst in Tausenden von Jahren konnte daraus immer noch Leben entstehen.
    Er zog das Messer aus der Brust des Toten, hielt ein paar Sekunden inne und biss sich auf die Lippen. Er hatte den Rubikon überschritten.
    Roland Obrist zuckte ein letztes Mal, dann sackte sein Kopf zur Seite. Blut färbte seinen Arbeitskittel tiefrot. Die Furchen in seinem Gesicht ließen ihn älter aussehen als die sechzig Jahre, die sein Gott ihm zugestanden hatte.
    Die heruntergelassenen Jalousien vor dem Fenster flatterten im Wind. Die Deckenleuchten warfen ein kaltes Licht in den Raum. Er war vollgestellt mit drei Stahlschränken, mehreren Arbeitstischen mit eingelassenen Spülbecken und ein paar Analyseautomaten. Von der Decke hingen zwei Abzugshauben. Über dem mit säureresistentem Kunststoff bezogenen Arbeitstisch hingen mehrere Regale mit Ordnern und Fachbüchern. In jeder freien Ecke des Raumes stapelten sich Autoklaven und Zentrifugen, umrahmt von zahllosen Reagenzgläsern und Erlenmeyerkolben. Der gekachelte Gang zwischen den Labortischen war der einzige freie Platz.
    Gewesen.
    Denn dort lag jetzt Roland Obrist.
    Als es schon zu Ende ging, hatte Obrist noch versucht, ein letztes Gebet gen Himmel zu schicken.
    Er war nicht bis zum Amen gekommen.
    Aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Den letzten Atem hatte Roland Obrist schon lange vor seinem Tod ausgestoßen. Er war nur noch eine Hülle gewesen, ein Befehlsempfänger, ein blind Glaubender.
    Bis zur Kommunion war auch er ein blind Glaubender gewesen. Hatte an das Gute im Menschen und in der Kirche geglaubt. Du sollst glauben wie ein Kind. Das hatte er wahrlich getan. Ein Kind kann sich nicht wehren.
    Jetzt konnte er es.
    Nie hatte er erzählt, was vorgefallen war. Er wollte nicht sein wie die, die nur ihr Leid beklagten. Seine Kindheit hatte ihn gelehrt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Schein und Wirklichkeit.
    Die Seele von Roland Obrist müsste eigentlich gerade im Himmel angekommen sein, dachte er. Also dort, wo der Mann zeit seines Lebens hingestrebt hatte. Dafür sieht er nicht sehr glücklich aus.
    Lag es daran, dass es gar keine Seele gab? Nur den vergänglichen Körper, bestehend aus Millionen von Genen? War die Wiederauferstehung gar kein seelischer, sondern ein körperlicher Prozess? Nicht mehr als die Geburt eines Zwillings? Nur zu einem anderen, frei wählbaren Zeitpunkt?
    Oder ist der Himmel nur eine Erfindung des Teufels, um den Menschen schon auf Erden das Leben zur Hölle zu machen?
    Er hatte das tausendfach durchdacht und seine Wahrheit gefunden.
    Jede Wahrheit ist schwach, wenn niemand sie kennt.
    Wenn niemand sie kennen will .
    Es war an der Zeit, das zu ändern. Ein Opfer musste gebracht werden, um Millionen die Freiheit zu schenken. War das nicht wahre Humanität?
    War das nicht die Quintessenz des Christentums?
    Bei dem Gedanken musste er lachen. Er richtete sich auf und wischte die Klinge mit einem feuchten Lappen ab. Er packte das Messer in eine lederne Tasche und beseitigte gewissenhaft alle Spuren. Dann nahm er drei Ordner aus dem Regal über dem Arbeitstisch und packte sie in seine Tasche. Am Schluss ging er noch einmal durch das Labor, um zu überprüfen, ob er nichts vergessen hatte.
    Ein Opfer, um Millionen die Freiheit zu schenken.
    Er würde sie mit ihren eigenen Waffen schlagen!

2
    Eine Flasche San Miguel, Alpkäse und eine Packung Rindsmöckli. Hilft das wirklich gegen Schlaflosigkeit? Alex Pandera rieb sich über die Stirn. Was für eine blöde Idee. Außerdem will ich nicht enden wie Deckert.
    Er stellte die Sachen wieder in den Kühlschrank und öffnete eine Dose Katzenfutter. Skater hatte sich schnell daran gewöhnt, dass es neuerdings mitten in der Nacht eine Kleinigkeit zu essen gab.
    »Na, schmeckt’s?«, fragte Pandera und streichelte über Skaters Nacken.
    »Kannst du wieder nicht schlafen?«
    Pandera drehte sich um. Jackie stand in der Küchentür. Sie sah so müde aus, wie er sich fühlte. Ihre Augen waren klein, ihre Locken zerzaust. Sie gähnte.
    »Skater hatte Hunger«, sagte er und zuckte mit den Schultern.
    »Wenigstens bist du diesmal nicht über den Kühlschrank hergefallen.« Sie kam zu ihm, zwickte ihn an der
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