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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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drei Kinder in dieser Hytte schlafen, doch oft kommen die Sommergäste allein, meist Männer, die auf der Suche nach Ruhe in den Norden fahren. Gewöhnlich sind es Norweger, manchmal ist aber auch ein Engländer dabei oder ein Deutscher; und vor drei Jahren, während eines langen, nassen Julis, saß ein kanadischer Philosoph am Fenster mit Blick auf den Fjord, hörte den Regen auf das Dach prasseln und dachte an Kierkegaard. Jedenfalls hat Mutter das erzählt. Sie lernte ihn eines Nachmittags bei einem Regenschauer kennen und lud ihn zum Tee ein, doch hat er ihr, zu Mutters großem Vergnügen, erzählt, er sei zu beschäftigt.
    Allerdings zählt es nicht zu Mutters Gewohnheiten, Kyrres Gäste zum Tee einzuladen, und so freute es sie vermutlich, dass der Philosoph ihr Angebot ausschlug. Natürlich dürfte es für sie eine neue Erfahrung gewesen sein, abgelehnt zu werden. Normalerweise war sie es nämlich, die ablehnte. Ablehnen, abschlagen, abweisen, sich weigern – das sind die Worte, die am besten Mutters Verhältnis zur Außenwelt beschreiben, nicht nur, was ihre Arbeit, sondern auch, was ihr persönliches Leben betrifft. Sie weigert sich ebenso standhaft, eine gefeierte Malerin zu werden, wie sie die Freier abweist, doch mögen die Weigerungen noch so endgültig klingen, bringen sie ihr stets nur größeren Erfolg und höhere Bildpreise ein. Ich glaube, anfangs überraschte sie das, denn ich weiß, ihr Rückzug war keineswegs geplant, aber es dauerte nicht lang, bis sie erkannte, wie sie dies zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Und eigentlich vermag auch niemand zu leugnen, von welch zentraler Bedeutung für ihren künstlerischen Erfolg diese Abgeschiedenheit ist – die mythische Zurückgezogenheit, die äußerste Integrität. Ich weiß heute, dass die Freier, die damals in unser Haus kamen, sehr wohl wussten, dass es sie Woche um Woche, Jahr um Jahr nur deshalb zu Mutter zurückzog, weil ihr Herz nicht zu gewinnen war. Sie bewunderten ihre Bilder, so wie sie ihre Schönheit bewunderten – doch am meisten bewunderten sie, dass sie sich ihnen verweigerte. Ein Talent, das man für bloße Attitüde halten könnte, wäre da nicht die Tatsache, dass sie nichts mehr als sich selbst verweigerte – und das ist schon immer ihr größtes Geheimnis gewesen. Darin liegt ihre Macht. Sich von der geschäftigen Welt abzuwenden, mag bis zu einem gewissen Grade interessant sein – und sie wurde schließlich erst zu der Künstlerin, die sie heute ist, als sie Oslo verließ und in den Augen vieler Leute beruflichen Selbstmord beging –, doch sich selbst zu verweigern, das muss man beispielhaft nennen. Nichts zu werden, sich aus dem Bilderrahmen zu entfernen – das ist die höchste Form der Kunst. Mutter war dies stets bewusst, und die entsprechende Disziplin erfasste alles in ihrem Leben – sogar ihren Umgang mit Kyrres Sommergästen. Mutter hat schon immer eine Rolle gespielt, nur zeigt die Rolle, die sie spielt, ihr wahres Ich. Man braucht sich bloß ihr Werk anzuschauen, um das zu verstehen.
    Während meiner Teenagerjahre machte ich mir Kyrres Gäste zum Hobby. Mit manchen freundete ich mich an und verbrachte dann und wann einen langen Nachmittag in dem Wohnraum mit Blick auf den Fjord oder auf dem winzigen Rasen zwischen Hytte und Strand, um mir bei einer Tasse Kaffee oder einigen Flaschen Solo ihre Geschichten anzuhören; meist aber beobachtete ich sie in aller Stille und sah ihnen von fern zu, wie sie die arktische Landschaft oder die Einsamkeit genossen, deretwegen sie gekommen waren. Beobachtete sie oder – wie Kyrre fand – spionierte ihnen nach, was wohl die angemessene Bezeichnung war. Mehrere Jahre lang war ich damals also eine Spionin, eine Beobachterin des Lebens. Ich sah den Sommergästen von meinem Schlafzimmerfenster aus zu, verfolgte ihr Tun und Treiben mit dem Fernglas, das Mutter mir zu meinem dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte, und versuchte herauszufinden, was sie wohl dachten. Manchmal machte ich mit dem Teleobjektiv meiner schicken Kamera, einem weiteren Geburtstagsgeschenk, sogar ein paar Fotos, hielt mich aber nie für aufdringlich oder indiskret, da mir bloßes Beobachten letzten Endes nur eine harmlose Aktivität zu sein schien, solange die Objekte meiner Neugierde nicht wussten, dass sie beobachtet wurden. Jedes Jahr trafen Gäste ein, und jedes Jahr entschied ich, welche für meine Beobachtungen infrage kamen und welche nicht. Mit Familien, die hier von Zeit zu Zeit Urlaub machten, gab ich
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