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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Autoren: John Burnside
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getroffen«, antworte ich meist, wenn man mich fragt, ob ich mit wem zusammen bin oder mich mit jemandem treffe, dabei bin ich eigentlich versucht, ihnen zu antworten, dass sie das nun wirklich überhaupt nichts angeht. Manchmal frage ich mich: Wie kommt es bloß, dass diese Leute sich so ungehemmt nach den intimsten Geheimnissen eines anderen erkundigen? Was soll ich darauf antworten? Was kann man darauf antworten? »Habe ich, nur bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn liebe, und selbst wenn, gehe ich davon aus, dass es nicht lange hält.« Oder: »Nein, wir haben bloß Sex; wir treffen uns zweimal die Woche, um auf jene seltsame Weise miteinander rumzumachen, wie man es nun einmal tut, wenn man sich nicht in Ruhe lassen kann.« Übrigens habe ich beide Szenarien durchgespielt, wenn auch ein wenig skeptisch, doch konnte mich keines überzeugen. Also darf ich wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich nicht zu Mats hingezogen fühlte, und ich könnte nicht einmal sagen, dass ich ihn kannte – dennoch bekümmerte mich, dass er tot war, und einen seltsam, leicht verwirrten Moment lang kam es mir vor, als wäre mir etwas genommen worden.
    Natürlich war Kyrre Opdahl kein Narr, und er musste gesehen haben, dass mir die Neuigkeit zu schaffen machte, doch war er eben auch ein geborener Geschichtenerzähler, und was er begonnen hatte, musste er zu Ende führen. Schließlich war es eine gute Geschichte, sogar eine echte Kriminalgeschichte – und im Nachhinein bin ich froh, dass es Kyrre war, der sie mir erzählte. Natürlich wusste er nicht viel mehr als Rott oder Harstad, und damals hatte er auch noch nicht angefangen, sich seine eigene, unheilvolle Erklärung der Ereignisse zurechtzulegen. Mats Sigfridsson war allein in einem Boot hinausgefahren; das Boot hatte ihm nicht gehört; und es war eine ruhige Nacht, weshalb es keinen ersichtlichen Grund dafür gab, warum er über Bord fallen sollte oder was immer sonst geschehen war. So viel wusste Kyrre, und das war nicht gerade viel. All das waren nur Tatsachen. Doch selbst damals – vielleicht, weil Kyrre sie erzählte – versprach die Geschichte mehr, als die bloßen Tatsachen andeuteten. Sie klang wie eine jener Erzählungen, aus denen früher Legenden gesponnen wurden, Erzählungen von Geistern, Seehundmenschen und Meerjungfrauen, allesamt düstere Warnungen vor dem, wozu Wälder, See oder Berge fähig waren, wenn man ihnen nicht genügend Respekt zollte. Wir verloren an jenem Tag kein Wort darüber, doch mussten wir beide daran denken: der ertrunkene Junge, die Ahnung, dass noch etwas offenblieb, das kleine Rätsel, das in sich den Kern eines größeren Mysteriums barg – wir sprachen es nicht an, aber wir wussten, dies war längst noch nicht alles.
    Allerdings muss festgehalten werden, nicht Kyrre, sondern ich war es, die zuerst an Maia dachte – die sogar an jenem Nachmittag an sie dachte und sie aus der Menge am Grunnlovsdag ans Licht zerrte. Ein dunkeläugiges, spöttisches Mädchen mit dem unbekümmerten Schritt eines Wildfangs, schon immer Außenseiterin, eine, die kam und ging, wie es ihr passte, und die sich kein bisschen um irgendwen scherte. Eine unter all den im Grunde anständigen, zutiefst besorgten Kindern der Schule, die unübersehbar sorglos wirkte, ein Kobold von einem Mädchen, das irgendwie in die private Welt der Brüder Sigfridsson eingedrungen war und sich dort niedergelassen hatte, wohin zu gehen es niemandem sonst gestattet war. Ich war es, die zuerst an sie dachte; und auch wenn ich ihretwegen meine Zweifel hegte, auch wenn ich meinen Verdacht zu verdrängen suchte, war ich es, die sie in die Geschichte brachte, als ich Kyrre erzählte, ich hätte sie am Grunnlovsdag gesehen – und obwohl wir uns nicht lang mit diesem Detail aufhielten, hing er ihm doch einen Moment nach, diesem Keim einer neuen Geschichte, die sich bereits in seinem Hinterkopf zu formen begann, dort, wo alle Geschichten beginnen, schattenhaft und unbestimmt, der erste Schritt in einer Logik, die nichts mit Vernunft zu tun hat.
    » Was also war so seltsam daran?«, fragte er. » Zwei Jungen und ein Mädchen – passiert schließlich nicht zum ersten Mal, dass sich Brüder ins selbe Mädchen verlieben …«
    Ich schüttelte den Kopf. » Nein, ich glaube nicht, dass es darum ging.«
    » Worum dann?«
    » Weiß nicht.« Ich blickte mich um, als könnte ich eine Antwort finden in diesem kleinen, holzverschalten Zimmer am Strand, dessen Fenster weit offen standen, so dass die
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