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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman
Autoren: Michael McBride
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I
     
    MORMON TEARS
     
    Irgendwo hinter den schwarzen Wolken ging gerade die Sonne auf. Phoenix stand an dem weißen Ufer und starrte hinaus auf den Großen Salzsee, benannt Mormon Tears. Obwohl sie nicht mehr war als ein etwas helleres Fleckchen Grau am Himmel, konnte er ihre Wärme auf seinem Gesicht spüren. Phoenix schloss die Augen und schwelgte in dieser sanften Berührung auf seinen Augenlidern und darin, wie sie die eisigen Klauen der Kälte aus seinem Körper vertrieb. Er seufzte, und sofort trug der Wind die graue Dampfwolke seines Atems davon. Tief in seinem Inneren fühlte er so etwas wie Zufriedenheit, einen Frieden, wie er ihn in seinem ganzen Leben noch nicht gekannt hatte. Das Himmelstheater über ihm erstreckte sich in alle Richtungen, ohne Grenze, nur ein winzig kleiner, fahler Lichtschein durchdrang die unersättlichen Nuklearwolken, um ihn auf seinem Fleckchen Sand zu wärmen, während die salzig-schaumige Brandung seine wunden Zehen umspülte. Er wusste, dass er diese Momente genießen musste, denn bald schon würden sie rar werden. Die dunkle Macht erhob sich dort hinten, wo der Horizont das scheinbar endlose schwarze Wasser und die vereinzelten glatten Felsinseln berührte. Sogar aus dieser Entfernung konnte er spüren, wie der Feind an Zahl zunahm und seine Kräfte sammelte für die Schlacht, die da kommen würde. Die dunkle Kraft seines Widersachers war selbst über all die hunderte von Meilen, die zwischen ihnen lagen, zu spüren; sie breitete sich aus wie ein Erdbeben, sandte böse Vorahnungen von bevorstehendem Blutvergießen bis hierher über das Wasser und ließ die Erde zittern.
    Vor seinem geistigen Auge sah er, wie die Wellen ohne anzuhalten einfach über das Ufer rollten und alles mit einem dicken, eisigen Matsch überzogen. Violette Blitze zuckten aus brodelnden, schwarzen Gewitterwolken und verwandelten die Farbe des über den Strand hinwegfegenden Wassers zu Blutrot.
    Sie würden bald kommen.
    Es war an der Zeit, sich vorzubereiten.
    »Wunderschön, nicht?«, sagte Missy hinter ihm, und er öffnete seine Augen.
    Phoenix drehte sich um, und ein Lächeln trat auf seine Lippen, so wie jedes Mal, wenn er sie sah. Nachdem er so lange in der Dunkelheit gelebt hatte und nicht einmal in seinen Träumen ihr Gesicht hatte sehen können, versuchte er jetzt, jeden Anblick in seiner Erinnerung zu verewigen; allein der Klang ihrer Stimme war für ihn beruhigender als selbst sein eigener Herzschlag.
    »Ja«, flüsterte Phoenix, obwohl er den See in seinem Rücken bereits vollkommen vergessen hatte.
    Missy wurde rot, ohne dabei auch nur das geringste bisschen unsicher zu wirken. Sie strahlte eine stille Souveränität aus; dies ließ auf eine innere Kraft schließen, die sie selbst noch gar nicht kannte. Phoenix machte sich Sorgen, dass sie ihn vielleicht nicht so sah wie er sie, aber das war egal. Das Einzige, was wirklich zählte, war in ihrer Nähe zu sein.
    Sie ging an ihm vorbei bis an den Rand des Wassers und stellte sich den Sonnenaufgang vor.
    »Wir sind hier nicht sicher, oder?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen. Sie musste nicht versuchen, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, denn sie wusste, dass er ihr die Wahrheit sagen würde.
    »Wir sind hier sicherer als irgendwo sonst.«
    »Das war nicht meine Frage.«
    »Nein«, flüsterte er. »Sie werden uns finden.«
    »Aber was sollen wir dann machen? Wo könnten wir sonst denn noch hin?«
    »Sie werden uns finden, egal wohin wir gehen. Dies ist der Ort, der uns bestimmt ist. Hier werden wir kämpfen.«
    »Und werden wir gewinnen?«
    Phoenix blieb stumm.
    »Das habe ich befürchtet«, sagte sie und drehte sich mit einem blassen Lächeln zu ihm um.
    »Ich habe nicht gesagt, dass wir verlieren.«
    »Du hast überhaupt nichts gesagt.«
    »Die Wahrheit ist, dass ich es einfach nicht weiß.«
    »Wie viel Zeit haben wir noch?«
    »Ich bin nicht sicher, alles was ich weiß, ist, dass es an der Zeit ist, uns auf einen Krieg vorzubereiten.«
    »Gegen wen? Gegen diese schwarzen Eidechsenmenschen?«
    »Gegen Gott«, flüsterte er.
    Ein Schauder lief ihr über den Rücken, der sich bis in ihre Fingerspitzen ausbreitete.
    »Komm«, sagte sie, brachte irgendwie ein Lächeln zustande und versuchte, die Bedeutung seiner Worte aus ihren Gedanken zu verbannen. »Die anderen machen gerade Frühstück. Ich glaube, wir könnten beide etwas zu essen vertragen.«
    Phoenix lächelte ein ähnliches Lächeln wie sie und ging hinter ihr her. Während der Nacht waren
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