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Lügen haben rote Haare

Lügen haben rote Haare

Titel: Lügen haben rote Haare
Autoren: Anne-Marie Käfer
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1. Roger
    Mann soll Frau niemals unterschätzen. Besonders rothaarige nicht. Ich bin eine Frau, rothaarig dazu und neige gelegentlich zu spontanen, temperamentvollen Ausbrüchen.
    Wie gesagt …, gelegentlich. Heute war gelegentlich. Im wahrsten Sinne des Wortes habe ich meinem Freund Roger Feuer unter dem Hintern gemacht. Also, nicht im sprichwörtlichen Sinne, sondern real. Ein kleinlich denkender Mensch würde hier das Wort Körperverletzung in den Mund nehmen, was natürlich Nonsens ist. Es war eindeutig eine Affekthandlung. Im Anschluss beschädigte ich versehentlich, ich betone …, versehentlich Rogers neues Auto, weil ich im Schockzustand dummerweise den Autoschlüssel mit einem Schraubenzieher verwechselt habe. Von Sachbeschädigung, im willkürlichen Sinne, kann demzufolge absolut keine Rede sein. So betrachtet scheint alles paletti, denn mit einem Schockzustand ist schließlich nicht zu spaßen. Roger hat schon oft erzählt, dass Menschen, die unter einem Schock litten, stationär behandelt werden mussten. Und er, als Oberarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, wird es ja schließlich wissen.
    Ich lasse heißes Badewasser nachlaufen und nippe an einem 1-Liter-Messbecher, in dem sich ein Gemisch aus schwerem Port- und Eiswein befindet. Ich kneife die Augen zusammen und betrachte die Innenskala des Küchenutensils. Oops, nur noch 350 ml.
    Na ja, Rogers Nacktfoto, das ihn beim Hanteltraining in seinem Schlafzimmer zeigt, könnte mir eventuell zum Verhängnis werden. Mit dem Foto an sich hat das aber nichts zu tun. Eher damit, dass ich es auf ein großes Blatt Papier geklebt und an die Korkpinnwand neben dem Eingang der Santorin-Klinik gepinnt habe, in der Roger arbeitet. Darunter habe ich eine ›Ja‹- und eine ›Nein‹-Spalte gezeichnet und zu einer Abstimmung aufgefordert.
    Findet ihr mein Zipfelchen zu klein oder nicht? Bitte › Ja ‹ oder › Nein ‹ ankreuzen. Während ihr abstimmt, trainiere ich fleißig weiter …, wie ihr seht, ich hab’s nötig.
    Es versteht sich von selbst, dass ich Rogers Gesicht durch einen weißen Etikettenaufkleber unkenntlich gemacht habe. Allerdings, wer neugierig ist und Spaß am Knibbeln hat? Der Mensch ist ja von Natur aus wissbegierig, und so gut kleben diese Dinger auch nicht. Aber …, das liegt nicht an mir, sondern am Hersteller dieser Klebedinger. Punkt.
    Noch 300 ml. Ich widerstehe dem Impuls, aus der Wanne zu steigen, um mein Handy wieder einzuschalten, den Stecker des Festnetz-Apparates einzustecken, sowie die Batterie der Haustürklingel wieder einzusetzen. Ich lasse Roger schmoren, Fremdgehen ist kein Kavaliersdelikt! Strafe muss sein.
    Nachdem das Sachliche geklärt ist, schnäuze ich kräftig in den Naturbadeschwamm, weil ich von der Badewanne aus nicht nach der Rolle Klopapier greifen kann. Jetzt kullern dicke Tränen über meine Wangen. Es wird Zeit, all den aufgestauten, verletzten Gefühlen freien Lauf zu lassen. Blöder Roger! So ein Idiot! Er weiß genau, dass jede Heulattacke meine Augenlider dermaßen anschwellen lässt, dass ich noch am nächsten Morgen aussehe, als hätte ich an einem Boxkampf teilgenommen und den Fight verloren. Ich schnäuze erneut, der Schwamm ist definitiv sein Geld wert, er hat ein unglaubliches Fassungsvermögen.
    200 ml . Die Fliesen verschwimmen vor meinen Augen, die Quadrate verschieben sich ineinander. Das Weingemisch hat es in sich. Gähnend beschließe ich, die verbleibende Pfütze auf ex zu trinken. Es wäre nicht auszudenken, wenn ich in der Badewanne einschlafen und ertrinken würde. Das könnte ich meiner Mitbewohnerin Gisela nicht antun. Ich ziehe den Stöpsel, sicher ist sicher.
    Nur in ein Badelaken gehüllt, laufe ich wie auf einem Krabbenkutter bei Windstärke 10 den Flur entlang in mein Schlafzimmer. Ich plumpse aufs Bett. Mit einiger Anstrengung gelingt es mir, den Wecker zu stellen. In dem Gehege, in dem Gisela krabbelt, liegt ein zweiter grüner Panzer. Hä? Hatte Gisela etwa geheiratet? Ich kneife die Augen zusammen. Die beiden Panzer verschmelzen wieder zu einem. Puh, Gott sei Dank! Zwei Haustiere wären mir definitiv zu viel.
    Der Morgen ›danach‹ kann wunderschön oder schrecklich sein, je nachdem, was mit danach gemeint ist. Bei meinem danach handelt es sich eindeutig um zu viel Alkohol.
    Wie es mir geht, brauche ich im Grunde nicht zu erwähnen, jeder, der denken kann, kann es sich denken. In meinem Kopf wütet ein Presslufthammer, die Schmerzen in den pochenden Schläfen sind
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