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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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getanzt. Ich habe die Band gebeten ›Sweet Rosie O’Grady‹ zu spielen, wenn wir miteinander ausgingen, und dann habe ich ihr das Lied ins Ohr gesungen.«
    »Was ist mit ihr passiert?« fragte Alvirah.
»Darüber spreche ich nicht gern. Sie hat eine Wochenbettdepression bekommen, und es wurde so schlimm, daß wir sie in die Klinik bringen mußten. Dann…« Lennys Stimme erstarb. »Sie haben sie nicht sorgfältig genug beaufsichtigt.« Die letzten Worte sagte er mit einem theatralischen Flüstern.
    Selbstmord, dachte Alvirah. »Ach, das tut mir so leid«, erwiderte sie, aufrichtig erschüttert.
»Nonna hat Star erzählt, ihre Mama sei krank und habe weit wegfahren müssen, und wir würden wahrscheinlich nichts mehr von ihr hören. Ich denke, wir hätten ihr von Anfang an sagen müssen, daß ihre Mutter tot ist, aber Nonna meint, wir sollten damit noch warten.« Lenny war zufrieden mit seiner gelungenen Geschichte.
Während der Probe kam es nur zu einem kleinen Zwischenfall, als Rajid, der dritte heilige König, den Krug mit der Myrrhe fallenließ. »Schon gut, Rajid«, rief Schwester Cordelia, als sie sah, daß der Junge Tränen in den Augen hatte. Schwester Maeve Marie sammelte rasch die Scherben auf. »Das war doch nur ein kleiner Unfall. Kein Problem. Macht einfach weiter.«
Willy ging zum Klavier. Es war Zeit für das Abschlußlied. »Stille Nacht, heilige Nacht«, spielte er und sang leise.
Stellina und Jerry, die vor der Krippe knieten, blickten auf und erhoben ihre klaren, reinen Kinderstimmen. »Alles schläft, einsam wacht…«
»Ein hübsches Lied«, sagte Lenny. »Es erinnert mich…«
»Pssst!« Mein Gott, kann er nicht einmal lange genug ruhig sein, um seinem eigenen Kind zuzuhören? dachte Alvirah ärgerlich. Wie gerne hätte sie eine Rolle Isolierband bei sich gehabt, um ihm den Mund zuzukleben. Sie bemerkte, wie Stellina kurz zu ihm hinübersah, als er sprach, doch dann wandte sie, offenbar peinlich berührt, den Blick ab.
Sogar die Kleine merkt schon, wie unmöglich ihr Vater sich aufführt, überlegte Alvirah. Das arme Kind. Heute sieht sie wirklich ein wenig zerrauft aus. Ihr Haar ist ganz verfilzt. Normalerweise ist sie doch so ordentlich frisiert.
Zerrauft, aber trotzdem wunderschön: das lockige, dunkelblonde, fast taillenlange Haar, die zarte Haut und die beeindruckenden braunen Augen. Sie wirkte so ernst und viel zu erwachsen. Warum hatten manche Kinder nur soviel Pech im Leben?
Nach der Probe klatschte Lenny laut in die Hände. »Spitze!« rief er. »Wirklich toll! Star, dein Daddy ist sehr stolz auf dich!«
Stellina lief rot an, drehte den Kopf weg und senkte den Blick. »Dein Daddy ist sehr stolz auf dich«, äffte Jerry Lenny nach. »Du bist ja so eine süße, kleine Maria. Ha, ha, ha.«
»Es ist noch nicht zu spät, sich einen neuen Joseph zu suchen«, warnte Schwester Cordelia den Jungen. »Und vergeßt nicht, eure Kostüme am Montag in die Schule mitzubringen, Kinder. Ihr könnt euch hier umziehen.«
»Ich hole Star von der Schule ab, damit sie ihr Kostüm zu Hause anziehen kann«, sagte Lenny zu Alvirah. »Ihre Nonna ist zu krank, um zum Krippenspiel zu kommen, aber sie möchte sie so gern in ihrem Kostüm sehen. Dann muß ich zur Arbeit.«
Alvirah nickte geistesabwesend. Ihre Aufmerksamkeit galt Cordelia, die gerade die Geschenke der heiligen drei Könige einsammelte. Die in Goldfolie gewickelten Schokoladentaler wirkten wirklich wie Goldstücke. Die bemalte Schüssel, die Cordelia zur Aufbewahrung des Weihrauchs aus dem Kloster mitgebracht hatte, sah sehr hübsch aus. Ich werde ihnen einen neuen Krug stiften, um den zerbrochenen zu ersetzen, beschloß Alvirah. Dann bemerkte sie, daß Stellina Cordelias Hand ergriff und sie beiseitenahm.
»Warum so geheimnisvoll?« fragte Lenny, offenbar erschrocken.
»Ach, ich denke, es hat nichts zu bedeuten«, wandte Alvirah rasch ein. »Soweit ich weiß, wünscht Stellina sich, daß Schwester Cordelia und Schwester Maeve Marie für ihre Nonna beten.«
»Ja, ja«, meinte Lenny nach einer Weile. »Das muß es wohl sein.«
    Lenny war zufrieden mit dem guten Eindruck, den er auf der Probe gemacht zu haben glaubte. Nachdem er lautstark verkündet hatte, er werde jetzt seine Tochter zum Essen ausführen, ging er mit ihr hinaus. »Da Nonna sich jetzt nicht mehr ums Essen kümmern kann, werde ich mir ein Kochbuch besorgen müssen«, meinte er noch zum Abschied.
    Auf dem Weg zu McDonald’s wollte er von Star wissen, was sie die Schwester gefragt hatte
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