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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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Bettes und wandte ihnen ihr Profil zu. Die gedämpfte Beleuchtung ließ ihr blondes Haar, das unter dem blauen Schleier hervorschimmerte, leuchten wie einen Heiligenschein.
»Nonna, wie schön, daß du aufgewacht bist. Ich bin so froh, daß es dir besser geht«, sagte sie. »Ein netter Polizist hat mich hergebracht. Ich wollte, daß du mich in meinem schönen Kleid siehst. Und schau, ich habe gut auf den Kelch meiner Mutter aufgepaßt.« Sie hielt den Silberkelch hoch. »Wie haben ihn beim Krippenspiel benutzt, und ich habe darum gebetet, daß meine Mutter wiederkommt. Glaubst du, der liebe Gott schickt sie zu mir?«
Sondra schluchzte auf. Sie lief auf ihre Tochter zu, ging in die Knie und schloß sie in die Arme.
Alvirah machte die Tür von außen zu. »Es gibt Augenblicke, in denen man keine Zeugen braucht«, meinte sie entschlossen. »Und manchmal kann es ein Trost sein, daß Wünsche in Erfüllung gehen, wenn man nur lange und fest genug daran glaubt.«
    NACHWORT

Z
    wei Abende später, am 23. Dezember, hatte sich eine gewaltige Menschenmenge in der Carnegie Hall eingefunden, um dem Galakonzert zu lauschen. Man würde
viele berühmte Musiker hören und das Debüt der talentierten
jungen Geigerin Sondra Lewis erleben.
Alvirah und Willy saßen mit Stellina, Sondras Großvater,
Gary Willis, Monsignore Ferris, Schwester Cordelia, Schwester
Maeve Marie und Kate Durkin in der Proszeniumsloge. Stellina, der viele neugierige Blicke galten, hatte einen Platz
in der ersten Reihe. Ihre braunen Augen funkelten begeistert,
und zum Glück bemerkte sie nicht, welches Aufsehen sie
erregte.
Seit zwei Tagen brachten alle Zeitungen der Stadt Artikel
über das Wiedersehen zwischen Mutter und Kind und das
Auftauchen des wertvollen Kelches. Die Geschichte ging zu
Herzen und paßte besonders gut in die Weihnachtszeit. Es waren auch Fotos von Sondra und Stellina abgedruckt.
»Selbst ein Blinder würde sehen, daß Stellina ihrer Mutter wie
aus dem Gesicht geschnitten ist«, sagte Alvirah. »Warum ist mir
das nicht schon viel früher aufgefallen?«
Auch die Frage, ob Sondra wegen der Aussetzung ihres
Kindes vor Gericht gestellt werden würde, hatte sich geklärt. »Um diese junge Frau anzuklagen, müßte ich ein noch schlimmerer Finsterling sein, als meine Gegner mir unterstellen«, meinte der Bezirksstaatsanwalt. »War es ein Fehler von ihr, nicht an der Tür des Pfarrhauses zu läuten, sondern zum nächsten Telefon zu laufen? Ja, das war es. Hat sie, ein achtzehnjähriges Mädchen, ihr Möglichstes getan, um für ihr Baby ein gutes Zuhause zu finden? Ja, das hat sie.«
»Wenn er sie angeklagt hätte, hätte er Ärger mit mir gekriegt«, lautete der Kommentar des Bürgermeisters. Applaus brach los, als der Dirigent die Bühne betrat. Die Saalbeleuchtung wurde gedämpft, und das Konzert begann. Alvirah, die ein elegantes Abendkleid aus dunkelgrünem Samt trug, griff nach Willys Hand.
Nach einer Stunde kam Sondra auf die Bühne. Das Publikum tobte. Monsignore Ferris beugte sich zu Alvirah hinüber. »Willy würde sagen, daß Sie es wieder einmal geschafft haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen. Ihnen haben wir es zu verdanken, daß der Kelch des Bischofs wieder aufgetaucht ist. Der Diamant ist zwar leider verschwunden, doch der Kelch ist das Wichtigste.«
»Ich denke, Willy hat auch ein Lob verdient«, erwiderte Alvirah leise. »Hätten seine Noten von ›Stille Nacht‹ nicht aufgeschlagen auf dem Klavier gelegen, hätte Sondra das Lied nicht gespielt und gesungen. Erst dadurch aber bin ich nachdenklich geworden. Und als Stellina beim Krippenspiel dasselbe Lied sang, war ich meiner Sache sicher.«
Als Sondra den Bogen hob, lehnten sie sich zurück, um zuzuhören. »Schau dir das Kind an«, flüsterte Alvirah Willy zu und zeigte auf Stellina.
Gebannt und mit leuchtendem Gesicht lauschte das kleine Mädchen dem Spiel seiner Mutter.
Als die Zuschauer eine Zugabe forderten und Sondra »Stille Nacht« anstimmte, blickte sie hinauf zu der Loge, in der ihre Tochter saß. Lediglich die Umsitzenden konnten hören, daß Stellina mitsang. Mutter und Tochter musizierten nur füreinander und hatten den Rest der Welt offenbar vergessen. Nachdem die letzten Töne verklungen waren, herrschte Stille. Dann beugte Willy sich vor und flüsterte Alvirah zu: »Alvirah, Schatz, schade, daß ich meine Noten nicht bei mir habe. Die beiden hätten ein wenig Klavierbegleitung gebrauchen können. Findest du nicht?«
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