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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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wohlwollend auf sie hinab.
»Wirklich ein schöner Raum«, stellte Alvirah fest. »So hohe Decken und verzierte Kamine wie dieser hier sind heutzutage selten geworden. Echte Handwerksarbeit. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß die arme Kate nicht ihren Lebensabend hier verbringen soll.« Seufzend drehte sie sich um. »Nun, Bessie wird sicher nichts dagegenhaben, wenn ich mich in ihren Lieblingssessel setze. Ich weiß noch, wie sie hier saß, die Füße auf einem Schemel, und sich ihre Seifenopern ansah. Wer wagte, sie dabei zu stören, hatte sein Leben verwirkt. Und dennoch hat sie sich kurz vor ihrem Tod hinter Kates Rücken nach oben geschlichen und ihre Schwester gewissermaßen aus dem Haus geworfen. Das bedeutet doch, daß sie an ihrem letzten Tag auf Erden mindestens eine ihrer geliebten Serien versäumt hat.«
»Vielleicht bringen sie im Himmel ja die Wiederholungen, dann ist sie gleich wieder auf dem neuesten Stand«, witzelte Willy.
Kate kam mit einem Tablett herein und stellte es auf den Couchtisch. »Ach, Willy,«, sagte sie. »Könntest du bitte die Tür schließen. Sicher kommen die beiden Turteltäubchen bald zurück, und ich möchte nicht, daß sie uns stören.«
»Mit Vergnügen, Kate«, brummte Willy und stand auf.
Natürlich kam das Gespräch von den Bakers bald auf Bessies Testament. Ganz automatisch schaltete Alvirah das Mikrophon in ihrer Brosche ein.
»Bessie hat zum Schreiben immer den Füllfederhalter des Richters benützt«, erwiderte Kate, als Alvirah erwähnte, daß das Testament und die Beglaubigung mit verschiedenfarbiger Tinte unterschrieben worden waren. »Andererseits hat sie in den letzten Tagen viele merkwürdige Dinge getan.«
»Was ist mit ihrer Schreibmaschine?« fragte Alvirah. »Hat sie nicht beim Erntedankfest darüber geredet?«
»Ich weiß nicht mehr genau«, murmelte Kate.
»Und wie schlecht waren ihre Augen geworden?« hakte Alvirah nach. »Ihre Brille hatte doch Zweistärkengläser zum Lesen und zum Weitsehen. Allerdings war ihr die Lesebrille zu schwach geworden. Sie mußte sich das Geschriebene dicht vor die Augen halten, um etwas zu erkennen. Vielleicht hat sie die Papiere unterschrieben, weil sie dachte, es handle sich um einen Lieferschein für Farbe, Lack oder Werkzeug. Einmal war ich dabei, als Baker ihr eine solche Quittung vorlegte. Er hat ihr zum Unterschreiben seinen Stift gegeben.«
»Diese Vermutung wird dich vor Gericht nicht weit bringen«, stellte Willy fest. »Kate, für ein Stück von deinem Streuselkuchen würde ich bis ans Ende der Welt gehen.«
Kate schmunzelte. »Das brauchst du nicht, er steht genau vor deiner Nase. Bessie hat ihn auch so gerne gegessen. Sie hat gesagt, nach ihrem Tod soll ich am Sonntagmorgen immer ein Stück für sie auf einen Teller legen und hier auf den Tisch stellen. Sie hat mir gedroht, mir ansonsten als Geist zu erscheinen.«
Und dann tauchten die Bakers auf der Bildfläche auf, dachte Alvirah. Sie hörte, wie die Eingangstür aufgeschlossen wurde. »Die Erben sind zurück«, murmelte sie und stellte zu ihrer Bestürzung fest, daß sich die Wohnzimmertür öffnete. Vic und Linda Baker standen lächelnd auf der Schwelle.
»Ein kleiner Imbiß am Morgen«, sagte Vic in seinem üblichen leutseligen Ton. »In England nennt man ihn elevensies, weil er immer um punkt elf Uhr eingenommen wird.« Er trat ins Zimmer. »Der Streuselkuchen sieht aber köstlich aus, Kate.«
»Das ist er auch«, entgegnete Alvirah frostig. »Haben Sie die Tür für Bessie repariert, Mr. Baker?«
»Ganz richtig.«
»Läßt sie sich seitdem so einfach aufschieben?«
»Ich glaube, ich muß noch einmal daran arbeiten.« Offenbar war ihm das Thema unangenehm, denn er wandte sich zum Gehen. »So, ich setze mich jetzt an mein Kreuzworträtsel.«
Sie warteten, bis Vics schwere Schritte und das laute Klappern von Lindas Absätzen nicht mehr zu hören waren. »Dieser Kerl merkt wohl nicht, wenn er unerwünscht ist«, meinte Willy.
»Noch schlimmer als das«, erwiderte Kate. »Er will wissen, worüber wir reden. Gott sei Dank, daß ich fast mit dem Ausräumen von Bessies Zimmer fertig bin. Ständig drückt er sich herum, wenn ich dort oben die Sachen sortiere.« Sie runzelte die Stirn. »Jetzt fällt mir wieder ein, was mit der Schreibmaschine los war, Alvirah. Die Leertaste muß repariert werden. Wenn man nicht ganz langsam tippt, springt sie. Die ganze Zeit sehe ich mir schon die Schreibmaschine in Bessies Zimmer an und überlege, was Bessie am Erntedankfest
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