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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht
Autoren: Mary Higgins Clark
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– sollte sie für Nonna beten?
»Darum bitte ich sie jeden Tag«, erwiderte Stellina leise. Sie wußte genau, daß Daddy gar nicht zufrieden sein würde, wenn er erfuhr, worüber sie wirklich mit der Schwester gesprochen hatte. Falls Nonna es ihr erlaubte, wollte sie den Silberkelch mitbringen, der früher ihrem Großonkel gehört hatte. Dann konnte Rajid ihn anstelle des zerbrochenen Kruges beim Krippenspiel benutzen.
Zu ihrer Freude war die Schwester einverstanden gewesen. Star war sicher, Nonna würde es ihr gestatten, wenn sie nur lange genug bettelte. Und während Rajid den Kelch neben die Krippe stellt, werde ich beten, daß meine Mutter mich nur ein einziges Mal besuchen kommt, falls sie noch nicht im Himmel ist, sagte sie sich.
Dieser Wunsch und diese Hoffnung beschäftigten sie mittlerweile ständig. Star glaubte fest daran, daß ihr Gebet erhört werden würde, wenn sie den Kelch dem Christkind als Geschenk darbrachte.
Sie würde ihre Mutter endlich sehen.
    26

P
    eter Lewis, Sondras Großvater, traf am Mittwochnachmittag ein. Sondra war gleichzeitig erleichtert und enttäuscht, daß Gary ihn nicht begleitet hatte. »Er kommt zum Konzert«, sagte der alte Herr. »Aber er ist sehr beschäftigt und konnte sich nicht freinehmen. Außerdem weiß er genau, daß man einen Künstler in den Tagen vor einem großen Konzert mit seiner Musik alleinlassen muß und ihn nicht ablenken darf.«
    Sondra war klar, worauf ihr Großvater anspielte: Gary Willis liebte die Musik von ganzem Herzen und es war ihm klar, unter welchem Druck ein Musiker häufig stand.
    »Ich bin froh, daß er Geduld hat«, erwiderte sie. »Hauptsache, du bist hier, Großvater. Du siehst prima aus.« Es war eine unerwartete Freude, daß ihr Großvater sich so guter Gesundheit erfreute. Seine Handgelenke und Finger waren zwar durch die Arthritis geschwollen, doch seit der Bypass-Operation hatte sein Gesicht wieder Farbe und er machte einen kräftigeren Eindruck. Sondra hatte schon befürchtet, daß er sich wegen seines hohen Alters nicht mehr erholen würde.
    Als sie ihm sagte, er habe sich für sein Alter gut gehalten, antwortete er: »Danke, Sondra, aber mit fünfundsiebzig gilt man heutzutage noch nicht als Tattergreis. Eine ungestörte Blutzufuhr zum Herzen wirkt wahre Wunder, obwohl ich dir nicht wünsche, daß du diese Erfahrung einmal am eigenen Leibe machen mußt.«
    Sondra versuchte, sich selbst Mut zuzusprechen. Wahrscheinlich wird er es verkraften, wenn ich ihm von dem Baby erzähle – und davon, was ich nach dem Konzert vorhabe. Aber schon beim bloßen Gedanken erbleichte sie.
    »Ich finde, du siehst mager und blaß aus«, meinte ihr Großvater. »Stimmt etwas nicht, oder ist das nur das übliche Lampenfieber? Wenn ja, bin ich enttäuscht. Ich dachte, das hätte ich dir ausgetrieben.«
    Sie wich der Frage aus. »Opa, schließlich werde ich in der Carnegie Hall auftreten«, entgegnete sie. »Das ist etwas anderes.«
    Am Donnerstag und am Freitag besuchte er alte Freunde, während sie mit ihrem New Yorker Lehrer übte.
Am Freitag beim Abendessen berichtete er von seinem Besuch in St. Clement, wo er erfahren hatte, daß Bischof Santoris Kelch gestohlen worden war. »Offenbar wurde in derselben Nacht dort ein Baby ausgesetzt«, sagte er, während er, konzentriert wie immer, die Speisekarte studierte. »Das stand zumindest in der Zeitung.« Er bestellte gegrillte Seezunge und einen Salat und blickte Sondra dann forschend an. »Wenn ich dich schon ins Le Cirque 2000 ausführe, mein Kind, könntest du wenigstens so tun, als würde dich die Speisekarte interessieren.«
Als er ihr am nächsten Tag beim Üben zuhörte, bemerkte sie die Enttäuschung in seinen Augen. Die Beethovensonate, die sie übte, klang zwar technisch perfekt, doch es fehlten ihr Feuer und Leidenschaft. Sondra wußte, daß das auch ihrem Großvater aufgefallen war.
Als sie fertig war, zuckte er die Achseln. »Deine Technik ist großartig. Aber du hast dich schon immer gescheut, dich ganz in deine Musik einzubringen. Ich kann mir nicht vorstellen, warum. Und heute hast du dich ganz und gar zurückgehalten.« Er musterte sie streng. »Wenn du so weitermachst, Sondra, wirst du im Handumdrehen wieder von der Konzertbühne verschwunden sein.« Er schnippte mit den Fingern. »Was hast du bloß? Du weist den Mann zurück, der dich liebt und den du meiner Ansicht nach auch gern hast. Und du lehnst mich ab. Ich weiß zwar nicht, warum, doch ich spüre es schon seit Jahren. Bist du denn
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