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Der Gefundene Junge

Der Gefundene Junge

Titel: Der Gefundene Junge
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    Der Junge hatte das Gefühl, bei vollem Bewusstsein und so, wie er war, aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Nicht aus Finsternis oder Chaos, Dunst oder Düsternis. Nein, er war sicher, dass er dem Nichts entsprungen war, und nun lag er an einem seltsamen Ort mit harten Steinen, die hinten gegen seinen Schädel drückten.
    Allmählich registrierte er weitere eigenartige Dinge. Er hatte einen seltsamen Geschmack im Mund. Seine Kleider waren feucht, vor allem der schwere Umhang. Und er sah nichts, weil da etwas über seinen Augen lag: ein Tuch, das an seinem Hinterkopf zusammengeknotet war. Als er die Hand danach ausstreckte, sprach ihn jemand an.
    Â»Rühr das nicht an.«
    Die Stimme war ihm fremd. Natürlich war sie das – der Junge erinnerte sich nicht, vorher jemals schon etwas gehört zu haben. Der Mann hatte nicht viel gesagt, aber der Junge spürte, dass in diesen vier Worten etwas mitschwang: Belustigung. Oder gespannte Erwartung.
    Â»Wer ist da? Wer sind Sie?«, fragte der Junge. Er drückte sich hoch, bis er auf dem Steinboden saß.
    Â»Niemand Besonderes«, sagte der Mann beinahe in einer Art Singsang. Der Junge hörte verstohlene Schritte, das Rascheln von Stoff. Als der Mann erneut etwas sagte, schien er näher gekommen zu sein. Vorher hatte er gestanden; jetzt klang es, alskniete er. »Aber ich bin neugierig auf dich«, sagte der Mann. »Wie fühlst du dich? Was weißt du?«
    Â»Was ich weiß ?«, fragte der Junge. Die Frage war seltsam, die Antwort noch seltsamer. Denn genau genommen wusste er sehr wenig. Was er wissen musste, schien sich jedoch nach Bedarf Stück für Stück einzustellen. Was ist das, worauf ich sitze? Ein Steinboden. Was habe ich um den Kopf? Eine Augenbinde. Was ist das an meinen Füßen? Stiefel. Wie nennt man das, wenn ich den Mund aufmache und Luft hole? Atmen. Eine Quelle in seinem Kopf begann zu sprudeln und füllte ihn mit Wörtern und Begriffen. Aber als er diese Quelle aufforderte, ihm eine bestimmte Antwort zu liefern, kam nichts. Dem Jungen stockte der Atem.
    Â»Mein Name!«, rief er. »Ich weiß nicht, wer …«
    Â»Pssst!«, rief der Mann. »Horch mal!«
    Zuerst hörte der Junge gar nichts. Er wandte sein Ohr dem Mann zu und lauschte. Seine Sinne verrieten ihm, dass er sich in einem kleinen, von Mauern umgebenen Raum befand. Doch der Raum war nicht vollkommen geschlossen; aus einer Richtung drang ein Geräusch herein, es kam von weit weg, wurde aber lauter.
    Â»Sei jetzt lieber einen Moment still. Bis der Wurm vorbei ist«, flüsterte der Mann. Er war jetzt so dicht bei ihm, dass der Junge seinen Atem spürte.
    Wurm ? Dieses Wort hatte mehr als eine Bedeutung, wie der Quell des Wissens ihm mitteilte. Es gab die Würmer im Erdreich, kleine, sich windende Tiere, die den Vögeln als Futter dienten und sich selbst von Kadavern nährten. Und dann gab es noch die anderen Würmer. Gefährliche Bestien.
    Er hörte, wie das Ding näher kam – aber war es wirklich nureins oder eine ganze Armee? Ein massiger Körper schabte über eine felsige Oberfläche, und dann war da noch ein unaufhörliches Scharren, als kratzten Hunderte von Krallen über den Boden. Der Lärm schwoll zu einem lauten Getöse an, als die Kreatur nur wenige Schritte entfernt an einem schmalen Fenster oder einer schmalen Tür vorbeizog.
    Der Junge fühlte, wie sich ein Finger an seine Lippen legte, und das Wissen stellte sich ein: Dieses Zeichen bedeutete, dass er still sein sollte. Seine Schultern bebten, und das Scharren und Kratzen hielt länger an, als er glauben konnte. Schließlich ließ es nach. Der Wurm war vorbeigezogen und schob seinen massigen Leib – einen mit zahlreichen Beinen versehenen Leib, schloss der Junge – durch den benachbarten Flur oder Gang.
    Als das Geräusch verklang, sagte der Mann: »Ich hoffe, der Wurm frisst sie nicht.«
    Â»Frisst wen nicht?«, fragte der Junge.
    Â»Die, die kommen, um dich abzuholen. Wo bleiben sie überhaupt? Sie müssten eigentlich längst hier sein. Warte – sie kommen näher. Ja, das sind sie. Und er ist dabei. Hab ich’s doch gewusst.« Irgendetwas im Tonfall dieses Mannes verriet dem Jungen, dass er grinste. »Hab keine Angst. Ich möchte, dass du ihnen vertraust.«
    Â»Ich verstehe das nicht. Wer sind diese Leute?«, fragte der Junge. Der Mann antwortete
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