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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still
Autoren: Jan Walther
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Gerichte. Sie beteiligten sich kaum an den Tischgesprächen, machten nur da und dort eine Bemerkung.
    Nach dem Essen gingen alle mit ihren Weingläsern hinaus auf die Dachterrasse. Auf dem Boden lagen verblichene Holzbohlen und zwischen den Pflanzen in Terrakottakübeln standen Windlichter. Sie setzten sich nebeneinander in zwei Liegestühle, abseits von den anderen. Dann sprach Peter ihn das erste Mal direkt an: »Du bist neu hier in der Stadt?« Sie unterhielten sich. Manchmal entstanden Pausen zwischen ihren Sätzen und sie blickten über die Terrasse hinaus in die Nacht. Er redete mehr, als er es sonst tat. Er mochte die ruhige Gelassenheit, die Peter ausstrahlte, wie er entspannt in dem Liegestuhl saß, sein Weinglas ab und zu von einer Hand in die andere wechselte, sein warmes Lächeln.
    Er spürte ab und zu einen Blick der anderen Männer abschätzend auf sich ruhen, aber es störte ihn nicht. Niemand sprach sie an, keiner störte. Zwischen den Liegestühlen stand eine Kerze in einem großen Glas, ihr Licht umschloss sie beide wie unter einer Kuppel.
    Peter erzählte von seiner Arbeit. Wie er es liebte, das passende Material für Ringe, Ketten oder Armreifen auszuwählen, sie unter seinen Händen entstehen zu sehen. Wie stolz er auf seinen Laden war. Erzählte von seiner großen Wohnung, von seinen liebsten Orten in der Umgebung. Er schwärmte vom alten Schlosspark im Herbst und sie verabredeten sich für das nächste Wochenende. Gehörten zu den letzten Gästen, die sich verabschiedeten, gingen noch ein Stück zusammen, bis sie sich trennten.
    Im Lauf der Woche trug er mehrmals Teller an den falschen Tisch, so sehr musste er an Peter denken. Seine Kolleginnen neckten ihn schon und er riss sich zusammen. Aber am Freitag fiel ihm ein ganzes Tablett mit Gläsern herunter.
    Dann sah er ihn endlich wieder. Peter holte ihn ab und sie fuhren in den Park. Die ersten Ahornblätter leuchteten rot und die Platanen verloren große gelbbraune Blätter, von denen er einige aufhob. Irgendwann nahm Peter seine Hand, einfach so, ein junger Mann guckte irritiert. Sie gingen weiter, auf einem abseits gelegenen Weg umarmte er Peter, vergaß alle Schüchternheit. War erstaunt, wie nah er sich diesem Mann fühlte.
    Schließlich saßen sie im Auto vor seinem Haus. Die Sonne war schon hinter den Häusern verschwunden. Die Straße war leer. Etwas entfernt ging eine Straßenlaterne an. Sie redeten nicht. Es gab nichts zu reden. Er mochte die Vertrautheit zwischen ihnen, wenn sie miteinander schwiegen. Er drehte seinen Kopf über die Schulter, sah Peter an, bewegte sich ein Stück auf ihn zu. Ihre Lippen berührten sich schon geöffnet, weich und gierig. Es war kein vorsichtig forschender Kuss, es war ein kundiger, bestimmter Kuss. Sie trennten sich nur zögernd.
    In den nächsten Wochen war er jedes Mal aufgeregt, bevor er sich mit Peter traf. Dann ruhig in seiner Nähe. Er fühlte sich wohl mit ihm, wo sie auch waren. Einmal steckten die Leute die Köpfe zusammen, als sie auf eine Vernissage kamen, aber es war ihm gleichgültig.
    Er konnte es kaum fassen, dass sich dieser gut aussehende, weltgewandte Mann wirklich für ihn interessierte. Im Vergleich zu früher, als er Jungen nachgeschwärmt, sich in Träume hineingesteigert hatte, waren seine Gefühle für Peter ruhiger, seine Empfindungen reifer. Das, was er mit ihm erlebte, war etwas ganz Besonderes, die Zeit flüchtiger Begegnungen vorbei. Er war glücklicher als jemals zuvor, genoss jeden Augenblick mit ihm.
    Trotzdem fragte er Tamara, ob sie glaube, dass er einer Vaterfigur hinterherlaufe. Sein eigener Vater hatte schließlich ihn und seine Mutter verlassen, als er vier war, er musste ohne ihn groß werden. Sie zog an ihrer Zigarette und warf ihr Haar nach hinten: »Ist das wirklich wichtig? Spielt es eine Rolle zwischen euch?«
    Nein, es spielte keine Rolle. Er sah keinen Vater in Peter, wenn er ihn anblickte, ihn küsste, in seinen Armen lag. Manchmal gab Peter ihm einen Rat, aber nie von oben herab. Manchmal setzte er sich mit etwas durch, wenn es ihm wichtig erschien.
    Er dreht sich herum, ist immer noch müde. Er weiß, dass es besser wäre zu schlafen, er weiß, dass er schlafen könnte, wenn er seinen Kopf freibekommen würde. Aber er gibt auf. Öffnet das Fenster, um zu lüften, geht dann wieder hinüber. Peter hat die Augen geschlossen, als er hereinkommt. Er tritt näher. Ein Auto hält vor dem Haus.
    »Das ist Mark«, sagt Peter.
    Er wirft einen Blick nach draußen:
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