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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still
Autoren: Jan Walther
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    Ein bisschen, nur noch ein bisschen schlafen. Er hält die Augen fest geschlossen. Im Bett ist es warm, und er kuschelt sich in den Traum zurück, den er vorm Aufwachen hatte. Der braun gebrannte junge Mann läuft weiter auf ihn zu, seine Füße immer auf dem feuchten Sandstreifen, den ab und zu eine Welle benetzt. Dann ist er da und lacht. Legt sich neben ihn, streckt auch seine Beine den Wellen entgegen.
    Er schmiegt sich an den Fremden, berührt seine Brust, spürt die starken Hände auf den Muskeln seines Rückens. Schließt die Augen. Will ewig so liegen, in den Armen dieses fremden Mannes. Die Sonne lässt den Sand auf ihrer Haut trocknen, die Wellen umspülen ihre Füße. Sonnenlicht sickert durch seine geschlossenen Lider, durch die Vorhänge. Es hilft nichts, es ist schon nach sieben und er muss aufstehen. Er weiß, dass Peter schon seit zwei oder drei Stunden wach liegt wie jeden Morgen. Peter würde nie etwas sagen, aber er weiß es doch. Er rollt sich von der harten Schlafcouch. Das große Schlafzimmer im Obergeschoss meidet er schon länger, schläft lieber unten im Gästezimmer.
    Er geht durch den kühlen Flur ins Badezimmer. Dort schaut er aus dem Fenster, die Wiese hinterm Haus glitzert feucht in der morgendlichen Kühle. Gedankenverloren wischt er ein paar Flecken von den Terazzofliesen. Merkt schließlich, dass er herumtrödelt, zieht sich schnell aus, schaut in den Spiegel. Seit Wochen beobachtet er kritisch seinen Haaransatz, es ist nichts zu machen, er bekommt Geheimratsecken. Mit einunddreißig. Er streicht seine Haare zurück, dann wieder nach vorn. Es spielt eigentlich keine Rolle, aber es stört ihn. Er setzt sich auf den Wannenrand, streicht über die Härchen auf seinem Oberschenkel. Er ist blass, hat diesen Sommer wenig Sonne abbekommen. Schneewittchen hat Peter einmal zu ihm gesagt. Schwarze Haare, Milchhaut mit Blut durchmischt. Schneewittchen ist lange her. Jetzt ist er einfach nur blass. Er stiert in den Spiegel, an seinem Bild vorbei, in die Ferne. Er trödelt schon wieder! Schnell wäscht er sich, zieht den Schlafanzug wieder an, putzt die Zähne. Streicht kurz über seine Wange, entscheidet sich gegen eine Rasur und geht eilig zurück.
    Ohne seinen Körper noch einmal zu betrachten, zieht er sich nachlässig an und geht anschließend ins Wohnzimmer. Das sperrige Krankenbett nimmt allen Platz im Zimmer ein, wirkt deplatziert in dem niedrigen Raum. Die Dielen sind schon ganz zerkratzt von den Rädern.
    Peter lächelt ihn an. Sein Gesicht hat sich nicht verändert, ist immer noch attraktiv. Nur seine kurzen Haare sind nun endgültig grau geworden. Peter sieht jünger aus als fünfzig. Hat auch vor neun Jahren jünger ausgesehen, anziehend und souverän, mit Lachfalten und Augen voller Lebendigkeit und Wärme.
    Er geht zum Bett, küsst ihn flüchtig, Peters Hand gleitet über seinen Nacken: »Gut geschlafen?«
    »Ja, bis eben.« Er fragt nicht zurück, denn er weiß, dass Peter nicht gut schläft. Er zieht die Vorhänge auf. Blinzelt, schaut hinaus in die Blätter der alten Linde auf dem Hof. Sie ist vermutlich so alt wie das Haus selbst, hat einen beeindruckenden Stamm. Peter ist letzten Sommer dagegen gewesen, sie zu fällen, obwohl ein Teil des Stammes hohl und morsch ist. Peter hat sie verteidigt, sich mit einem Baumspezialisten beraten, die Linde behandelt und gepäppelt.
    Er wechselt den vollen Beutel aus, der an der hinteren Seite des Bettes hängt, zieht die verrutschte Decke hastig wieder über Peters Füße. Peter schaut aus dem Fenster: »Wird bestimmt wieder schönes Wetter heute.«
    »Ja.« Er geht in den Kochbereich und bereitet das Frühstück vor. Müsli und frischen Orangensaft für Peter, Toast und Milchkaffee für sich selbst.
    »Die Linde wird bestimmt noch vierhundert Jahre alt«, sagt Peter.
    Er beugt sich vor, blickt unter den Hängeschränken hindurch: »Bestimmt. Du hast sie ja gerettet.«
    Dann bringt er das Tablett hinüber, deckt für sich selbst den Couchtisch. Sie frühstücken still, schauen ab und zu aus dem Fenster. Er hebt den Löffel wieder auf, als er Peter runterfällt.
    Peter muss husten und verschluckt sich an seinem Orangensaft. Er steht auf, aber Peter hat sich schon beruhigt. Er wischt das Tablett ab und füllt Peter noch etwas Saft in die Schnabeltasse.
    Nach dem Frühstück räumt er in der Küche auf, bis Schwester Annegret kommt. Sie hat vertrauenerweckende Fältchen um ihre warmen braunen Augen und sieht nie müde aus. Er mag sie von
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