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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still
Autoren: Jan Walther
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ihn nicht erreichen kann. Andreas hat einen Arm um sich geschlungen, eine Hand unter den Kopf geschoben. Der Schlaf macht ihn jünger, lässt den Jungen erahnen, der noch in ihm ist. Versteckt die Traurigkeit und die Anspannung. Lässt seine Schönheit hervortreten.
    Sonnenlicht bricht sich an den Rändern der Schale auf dem Couchtisch, fächert sich in den Farben des Regenbogens auf, aber sein Blick wird wieder von Andreas’ Gesicht angezogen. Er schließt die Augen. Andreas’ Gesicht strahlend im Sonnenlicht, Lachen, das darübertanzt, rote Flecken auf milchweißer Haut. Hohe Zypressen rechts und links des Weges. Er hält Andreas zurück, küsst ihn. Sie sehen sich nicht einmal um. Sie küssen sich wie lange nicht mehr. Er hält sich an dem Bild fest, kostet es aus. Glück, dass sein Inneres überflutet. Wärme zurücklässt. Ein Gefühl, das ihn nicht verlässt, als er die Augen wieder öffnet.
    Andreas erwacht, schlägt die Augen auf. Sieht ihn an, entspannt und ruhig.
    »Du bist schön«, raunt er ihm zu.
    Ein Lächeln huscht über Andreas’ Gesicht. Dann steht er auf, kniet sich neben das Bett. »Du auch.«
    Andreas lächelt ihn an, beugt sich vor und küsst ihn.
    »Ich koch dann mal Kaffee.«
    »Bleib«, bittet er, »lies mir was vor. Pavese vielleicht. Muss unten links im Regal stehen.«
    Andreas geht zum Regal, liest mit geneigtem Kopf die Buchrücken. Zieht einen schmalen Band heraus. Er setzt sich auf die Bettkante, blättert. Liest etwas, zögert, dann sagt er: »Hier ist ein Gedicht. Es heißt: Der Tod wird kommen«, Andreas räuspert sich, »der Tod wird kommen und deine Augen haben.« Liest es noch einmal, leise: »Der Tod wird kommen und deine Augen haben.«
    Er liest still weiter. »Der Rest gefällt mir nicht so. Zu düster«, er blättert weiter, überfliegt Zeilen, blättert dann wieder zurück, »Vielleicht noch: An jenem Tag werden auch wir wissen, dass du das Leben bist und das Nichts.« Andreas dreht den Kopf zum Fenster, schweigt. Dann klappt er das Buch zu, legt sich neben ihn. Schmiegt sich an ihn. Er spürt Andreas’ Herz schlagen.
    »… dass du das Leben bist und das Nichts«, wiederholt er. Er legt seinen Arm um Andreas. Erhascht einen Blick auf sein Gesicht, ein Sonnenstrahl kitzelt Andreas’ Wimpern.
    »Der Tod wird kommen und deine Augen haben«, flüstert er in Andreas’ Haar. Andreas legt die Hand an seine Wange. Er genießt Andreas’ Nähe, ihn ganz bei sich zu haben. Trotzdem kann er den stechenden Schmerz nicht unterdrücken, der ihm plötzlich die Luft nimmt. Er keucht auf, muss husten, aber das Husten tut weh. Andreas hält seinen Kopf. Als der Hustenreiz sich beruhigt hat, sinkt er zurück ins Kissen. Andreas wischt ihm den Speichel vom Mundwinkel. Er versucht, ruhig zu atmen. Andreas streicht über seine Brust.
    »Geht schon.« Der Schmerz ist etwas erträglicher geworden und er versucht, ihn nicht zu beachten. Andreas legt den Kopf auf seine Schulter, sagt nichts.
    »Wenn es unerträglich wird, würdest du mir dann helfen?«, fragt er Andreas leise.
    Andreas holt Luft, zögert, drückt dann seine Hand: »Ja.«
    Sie schweigen. Die Zeit nimmt eine ruhige Gewissheit an. Rennt ihnen nicht davon. Steht an ihrem Bett und wacht über sie. Die Sonne erreicht sein Gesicht und er schließt die Augen. Er lauscht Andreas’ Atem. Ich bedaure nichts, außer dich verlassen zu müssen, denkt er, aber er sagt es nicht.
    »Ich will nicht, dass du noch mal ins Krankenhaus kommst«, meint Andreas ohne rechten Zusammenhang.
    »Wenn es nötig ist …«, antwortet er, aber das sagt nur sein Verstand. »Nein, ich will nicht. Es ist so schön, dass du bei mir bist.«
    Und wenn es nur ein paar Momente wie dieser sein sollten. Andreas an seiner Seite liegend, ruhige Gewissheit, fast so etwas wie Glück.
    ✴ ✴ ✴
    Unter dem Geruch der Krankheit – Waschmittel, Salbe und Ausdünstungen – riecht er die Wärme von Peters Haut, riecht Sonne und einen Hauch von Aftershave. Er küsst Peters Hals. Nur leicht. Hält die Augen geschlossen.
    Peter winkt zu ihm herunter, seine braune Haut schimmert im Licht. Die Sonne lässt ihn blinzeln, die Klippen schneiden in seine Füße. Er hält die Hand über die Augen. Sieht, dass Peter glücklich ist, strahlt. Dann entfernt er sich, während er weiter winkt.
    Peters Hand streicht über seinen Rücken, gibt ihm Halt. Er öffnet die Augen. Überblickt das Wohnzimmer aus Peters Blickwinkel.
    »Wie geht es dir?« flüstert Peter.
    »Gut.« Er hebt den Kopf,
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