Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still
Autoren: Jan Walther
Vom Netzwerk:
verstanden, was der Arzt ihm sagen wollte. Nur erfassen konnte er es nicht.
    »Wir müssen über die Zukunft reden.«
    Er nahm die Stimme wie aus weiter Ferne wahr. Zukunft? Welche Zukunft? Peter würde sterben.
    »Ich werde versuchen, ihren Partner vorerst hier zu behalten, wenn Sie das wünschen. Aber die Krankenkasse wird Schwierigkeiten machen, auch eine private.«
    »Wieso? Er ist doch krank.«
    »Ja, aber wenn er keine Behandlung bekommt, ist er ein Pflegefall. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde das schon hinkriegen.«
    Dann stand er vor dem Arztzimmer. Ihm fiel ein, dass er nicht gefragt hatte, ob Peter es schon wusste. Eigentlich hätte er noch einmal zurückgehen und fragen müssen. Aber etwas hielt ihn zurück. Er blieb noch eine Weile stehen, an die Wand gelehnt, seine Tasche im Arm. Starrte auf seine Füße und blendete alles andere aus.
    Jetzt sitzt er auf dem Hof, die Hände zwischen die Schenkel geklemmt. Ebenso innerlich leer, erstarrt wie auf dem Krankenhausflur. Nicht fähig, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Peter wird sterben. Er hat versucht, sich darauf vorzubereiten. Vorzutrauern. Aber das geht nicht. Er kann nicht um Peters Verlust trauern, solange er noch lebt.
    Peter verbrachte lange, trostlose Tage im Krankenhaus. Er besuchte ihn weiterhin jeden Tag. Aber er musste auch arbeiten gehen, im Restaurant war viel los, er musste abends oft länger arbeiten. Ging jeden Nachmittag zwischen drei und fünf ins Krankenhaus. Brachte Kuchen mit. Trank dünnen Kaffee mit Peter. Suchte nach unverfänglichen Gesprächsthemen. Sehnte sich nach Schlaf.
    Zu Hause stapelte sich die dreckige Wäsche, benutzte Weingläser standen herum und auf dem Anrufbeantworter sammelten sich Nachrichten, die unbeantwortet blieben. Er ging nicht mehr jeden Tag ins Krankenhaus. Hatte ein schlechtes Gewissen.
    Der Arzt schlug vor, Peter zu Hause zu pflegen. Er erschrak, hielt das für unmöglich. Peter brauchte rund um die Uhr Pflege, fachliche Pflege. Peter sah das sicherlich auch ein. Trotzdem informierte er sich. Alles sprach dagegen. Es ging einfach nicht. Der Transport wäre riskant. Peter konnte zu Hause nicht die gleiche Pflege wie im Krankenhaus bekommen. Wenn ein Notfall einträte, wäre kein Arzt da. Er müsste seine Arbeit aufgeben und würde nur wenig Pflegegeld bekommen.
    Er sah sich selbst, wie er dies alles Peter erklärte. Sachlich die Gründe aufzählte, warum er ihn nicht nach Hause holen könne. Peter, der ›Ja, natürlich‹ sagte. Neutral, leise. Er trat ans Fenster. Ein Rasenmäher knatterte auf der Wiese, köpfte die Gänseblümchen. Als er sich wieder umdrehte, weinte Peter, den Kopf halb abgewandt. Weinte ohne Geräusch. Hatte nicht gewollt, dass er es bemerkte. Er nahm seine Tasche, ging zur Tür: »Ich bespreche alles mit dem Arzt.«
    Er wählte einen Pflegedienst aus, beantragte Pflegegeld, kündigte seine Arbeit. Schuf Platz im Wohnzimmer für das sperrige Pflegebett. Es ging alles so schnell. Der Krankenwagen hielt auf dem Hof. Sie trugen Peter hinein. Hilflos, wie ein Kind, seine ganze Zerbrechlichkeit. Sein Körper, der immer mehr zu verschwinden schien, schmal, zusammengerutscht auf der Trage.
    Umsichtige Routine der Sanitäter. Er stand an der Tür, verfolgte, was in ihrem Wohnzimmer geschah. Das kam ihm alles surreal vor. Das große, sperrige Bett, die Sanitäter in ihren grellen Anzügen, der Arzt. Gleich würden sie gehen. Er allein sein, verantwortlich. Es war eine wahnsinnige Idee gewesen. Er konnte das unmöglich alleine schaffen.
    Er konnte so viel falsch machen. Was sollte er nur tun? Er blieb an der Tür stehen, als der Arzt und die Sanitäter sich verabschiedete. Als sie allein waren, streckte Peter die Hand aus: »Komm her«. Er wandte sich ab, ging in die Küche und kochte Tee.
    Eine Autotür schlägt zu. Er sieht über den Hof. Der Arzt holt seine Tasche vom Rücksitz, schlägt auch die hintere Tür zu. Er steht von der Bank auf, geht dem Arzt entgegen.
    »Da bin ich.«
    »Ja, schön. Guten Tag.« Er hat gar nicht mehr daran gedacht, dass der Arzt kommen wollte, und führt ihn ins Haus.
    Peter schläft. Er tritt zu ihm, streichelt seine Wange: »Der Arzt ist da.« Peter wacht auf, muss husten, verschluckt sich. Er stützt ihn, bis es wieder geht, gibt ihm dann etwas zu trinken.
    Der Arzt beginnt mit seiner Untersuchung, stellt Fragen. Er zeigt ihm den Pflegeplan, berichtet noch mal von dem Vorfall in der Nacht. Peter will nicht über seine Schmerzen jammern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher