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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still
Autoren: Jan Walther
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die Schwester ihn wäscht und die wundgelegene Stelle behandelt. Er versucht nicht hinzusehen, stattdessen betrachtet er Peters Gesicht, das angespannt ist und seine Schmerzen spiegelt. Murmelt beruhigende Worte und lässt Peter vorsichtig zurücksinken, als die Schwester fertig ist. Sie zieht Peter das frische Hemd über und spritzt das Schmerzmittel.
    Dann räumt sie ihre Sachen zusammen und nimmt den Dokumentationsbogen aus der Schublade. Beim Blick auf die Uhr sieht er, dass sie wieder zu viel Zeit investiert hat. Dabei arbeitet sie immer so zügig und gekonnt. Vielleicht sind es die freundlichen Worte, die kleinen Gesten, die so viel Zeit kosten. Er bringt Schwester Annegret zur Tür, verabschiedet sie.
    »Vielen Dank.«
    »Keine Ursache.« Sie geht mit raschen Schritten zu ihrem Auto und steigt ein. Sie nickt ihm zu, als sie wegfährt. Er hält sein Gesicht einen Moment in die Sonne, registriert die Schönheit des Herbsttages. Tritt ein paar Schritte vor. Die Sonnenstrahlen lassen die Blätter der Linde gelbgrün aufleuchten, zeichnen helle Lichtkränze um jeden Blattrand. Der Schatten, den ein Ast der Linde auf die Hauswand wirft, wirkt lebendig, fein abgestuft und doch gestochen scharf. Er dreht sich wieder zur Sonne, steckt die Hände in die Hosentaschen. Überblickt die Straße, die friedlich daliegt. Vertrocknete Lindensamen liegen darauf verstreut, bräunlich-golden im Sonnenlicht.
    Er geht langsam zurück, lässt die Haustür offen stehen. Sonnenlicht fällt über den Steinfußboden, erhellt den fensterlosen Flur, trägt die Wärme der Luft hinein. Er nimmt Äpfel von der oberen Stiege und geht ins Wohnzimmer. Peter scheint zu schlafen und er geht leise in die Küche. Er legt die Äpfel auf die Anrichte. Dann wiegt er Mehl und Zucker ab, teilt ein Stück Butter und beginnt, Teig für einen Apfelkuchen anzurühren. Die Küchenmaschine lässt er im Schrank, es geht auch ohne. Er rührt so lange, bis Butter und Zucker schaumig sind, dann gibt er drei Eier dazu, rührt weiter, siebt schließlich nach und nach das Mehl hinein, das sich als samtiger, feiner Berg über den feuchten Teig legt. Dann wäscht er die Äpfel und schält sie, versucht die Schale in einer langen Schlange abzulösen.
    Das Haus ist stiller geworden, seit Peter krank ist. Nur noch selten läuft der Fernseher, kein Radio dudelt mehr nebenbei. Die Küchenmaschine staubt ein, er weiß gar nicht mehr, wozu er sie überhaupt gekauft hat. Er genießt es, Zutaten mit seinen Händen zu bearbeiten, sich Zeit zu lassen.
    Ein paar Spatzen zanken sich draußen auf dem Hof. Er hält inne, blickt zum Fenster. Das Sonnenlicht fällt in die Küche, ergießt sich über die Stühle und den Tisch, verfängt sich in einer Dahlie, die in einer Flasche steht, welche einen blau durchscheinenden Schatten auf die Tischplatte wirft. Er lehnt sich an die Kante des Küchenschrankes, hält einen Apfel in der einen und den Schäler in der anderen Hand. Ein perfekter Moment, einfach so. Weil er einen Apfelkuchen backt. Weil die Äpfel süß und aromatisch duften. Weil der Küchentisch wie ein Stillleben aussieht. Die Zeit ist bei ihm angekommen, rast nicht mehr.
    Eigenartig, wie sehr die Zeit sich zu beschleunigen beginnt, wenn man älter wird. Als Jugendlicher hatte er das nicht gekannt. Ein Jahr schien endlos, eine Woche wie ein Monat lang. Dann begann er zu arbeiten, wurde älter. Manchmal war er erstaunt, wie schnell die Zeit verging. Dass schon Herbst war, die Bäume kahl, und das Jahr schon vorüber. Dass das Baby der Nachbarin schon lief, sprach, drei war. Dass der Urlaub wieder Geschichte war, eingeordnet in ein dickes Album. Dass Peter und er bereits vier Jahre zusammen waren, dann fünf.
    Er dreht sich wieder zum Küchenschrank um, beugt sich vor, um Peter sehen zu können. Peter schläft noch immer, sieht friedlich und entspannt aus, wie er es nur noch selten im Schlaf ist. Er betrachtet sein Gesicht, unberührt, losgelöst von der Zeit. Gesicht eines sonnigen Morgens, des Geliebten neben ihm, einer Stunde ebenso perfekten wie simplen Glücks.
    Er richtet sich auf, sieht, dass die geschälten Äpfel schon braun werden. Schält weiter, schneidet die Äpfel in Sechstel und verteilt sie mit der runden Seite nach oben auf dem Teig, streut Zimt und Zucker darüber. Dann schiebt er die Kuchenform in den Ofen, macht die Anrichte wieder sauber, räumt in der Küche auf. Peter wacht auf, er hört, wie er mit der Decke raschelt.
    Er beugt sich hinunter: »Willst du
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