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Im Zimmer wird es still

Im Zimmer wird es still

Titel: Im Zimmer wird es still
Autoren: Jan Walther
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allen Pflegerinnen am liebsten. Sie ist klein und zierlich. Er wundert sich oft, woher sie die Kraft nimmt. Obwohl Peter an Gewicht verloren hat, ist er immer noch schwerer und größer als sie.
    Er sieht Schwester Annegret aus dem Sessel in der anderen Ecke des Zimmers zu, wie sie Peter wäscht und die Windel wechselt. Muss nur Zuschauer sein, ist dankbar dafür. Klemmt seine Hände zwischen die Schenkel. Das hat er schon immer getan, wenn er ein bisschen Halt suchte. Am ersten Schultag saß er so auf einem Blumenkübel im Hof, bis die Lehrerin ihn endlich fand und mit ins Klassenzimmer nahm.
    »Morgen wechseln wir das Laken«, sagt Schwester Annegret.
    »Ist gut.« Er ist froh, noch einen Tag darum herumzukommen. Schaut aus dem Fenster, während Schwester Annegret mit geübten Handgriffen das Schmerzmittel spritzt. Es ist ein strahlend schöner Herbsttag, fast noch Spätsommer. Die Herbstastern an Mertens’ Hauswand leuchten lila, daneben eine rostfarbene Dahlie. Die Linde hat schon einige gelbe Blätter.
    »Sie können ja mal mit dem Arzt reden, ob wir Ihnen das Schmerzmittel nicht anders verabreichen können«, sagt Schwester Annegret.
    »Es klappt doch so ganz gut«, antwortet Peter und lächelt ihm aufmunternd zu.
    »Ja, noch klappt es ganz gut«, meint Schwester Annegret, während sie in die Küche geht und sich die Hände wäscht. Er begleitet sie zur Haustür, sie hält ihr Gesicht einen Moment in die Sonne: »Was für ein schöner Tag. Wer weiß, wie lange das Wetter noch so ist.«
    »Ja, man muss es noch genießen.«
    »Genau. Also, auf Wiedersehen«, sie winkt kurz, während sie mit schnellem Schritt zu ihrem Auto geht, das vorm Hof am Rand der Straße parkt. Er geht wieder in die Küche, räumt die Spülmaschine aus. Dann wiegt er Mehl und Butter für einen Teig ab.
    »Was gibt es heute?« fragt Peter von drüben.
    »Eine Quiche.«
    »Du musst doch nicht immer so etwas Aufwendiges kochen.«
    »Ich mach das doch gern«, antwortet er. Er stellt den Teig kühl und schneidet den Käse in Würfel. Verrührt Eier und Sauerrahm, holt eine Auflaufform aus dem Backofen.
    »Du magst doch Quiche?« Er erhält keine Antwort, schaut hinüber zu Peter, der eingeschlafen ist. Seinen Kopf bewegt er unruhig hin und her. Leise bringt er den Müll nach draußen. Bleibt einen Moment in der Sonne stehen.
    Mertens’ schwarze Katze schleicht um die Ecke, eine Maus im Maul. Auf der anderen Hofseite tritt die Nachbarin aus der Haustür. Die Katze legt ihr die tote Maus als Tribut vor die Füße.
    »Hallo«, die Nachbarin winkt ihm zu.
    »Hallo, Katharina.« Die Katze trollt sich beleidigt.
    »Hast du vielleicht Lust, mir morgen Vormittag beim Äpfel-ernten zu helfen? Ihr könnt auch ein paar Stiegen haben.«
    »Ja, gern. So um zehn?«
    »Schön, bis morgen.« Katharina hebt grüßend die Hand und geht ins Haus. Die schwarze Katze schleicht sich hinter ihr durch die Tür. Er geht wieder hinein. Das Telefon klingelt und er hebt schnell ab.
    »Hallo Paul. Ist gerade ungünstig, Peter schläft«, flüstert er.
    Peter wacht auf und er gibt den Hörer weiter, geht in die Küche. Peter unterhält sich leise mit Paul. Er hört seiner Stimme die Vertrautheit alter Freundschaft an. Er überlegt, ob er rausgehen soll, damit sich Peter ungestört unterhalten kann, aber Peter ist schon dabei, sich zu verabschieden.
    Paul gehört zu denen, die nie vergessen anzurufen. Mit anderen Leuten haben sie jetzt weniger Kontakt. Freunde, mit denen sie sonst Essen oder ins Kino gingen, melden sich nur selten. Bekannte, die sie früher auf Partys trafen, sehen sie jetzt nicht mehr. Er ist ihnen nicht böse. Er weiß, wie das ist. Hatte es selbst gemerkt, als ein Bekannter schwer erkrankte. Das normale Leben rann so schnell dahin, Arbeit und alltägliche Aufgaben, ein bisschen Freizeit.
    Er scheute sich anzurufen, weil er nicht wusste, worüber er sich unterhalten sollte. Dann hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht gemeldet hatte. Zögerte einen Besuch hinaus, fand Ausflüchte und fühlte sich schlecht dabei. Als er ihn dann doch besuchte, fand er die Atmosphäre trotz allem schön und anregend, nahm sich vor, bald wieder zu kommen. Aber dann ging alles wieder von vorne los.
    Wahrscheinlich geht es manchen Bekannten von ihnen so. Andere Menschen sind näher gerückt. Unerwartet manchmal.
    Peter hat das Gespräch beendet, aber schafft es nicht, das Telefon auszumachen. Er geht rüber und hilft ihm. Peter erzählt, was Paul gesagt hat, wirkt
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