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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Autoren: Martin Clauß
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1
    Die Sonne, unter deren Licht das Gebüsch eben noch in ein Feuerwerk aus Rot ausgebrochen war, wurde jetzt von einer fetten Wolke vollständig ausgelöscht. Der Wald sank in ein brütendes Braun zurück, als wäre das Blut, das eben noch in seinen Adern gepulst hatte, in den Boden abgeflossen.
    Spürbar legte sich eine Kühle über das Land. Das Laub raschelte unter einem schwachen Windstoß, Zweige warfen ihre Blätter ab.
    „Bei diesen Lichtverhältnissen werde ich zweifellos einen der Hunde erschießen“, behauptete der Mann mit den weichen Zügen. Seine mittelbraunen Haare legten sich in kleinen Strähnen um seinen Kopf. Er hielt das Gewehr schon so lange im Anschlag, dass seine Arme zu zittern begannen. Glücklich sah er nicht gerade aus.
    „Still“, fuhr ihn die großgewachsene Gestalt neben ihm an. „Ehe du einen der Hunde gefährdest, schieß lieber auf die Treiber. Sie sind wesentlich entbehrlicher – und mit ihren dicken Wänsten weniger leicht zu verfehlen.“ Das dunkle Gesicht mit den widerspenstigen schwarzen Haaren und dem kleinen Spitzbart regte sich nicht. „Und nimm endlich das Gewehr herunter, du Narr!“
    Eugen ließ die Waffe sinken. „Aber … werde ich denn schnell genug sein, wenn die Schweine kommen?“
    Lorenz von Adlerbrunn erwiderte nichts. In das Rauschen der Bäume hinein erhob sich das warme, erdige Tröten eines Jagdhorns. Der Wind trug das Signal zu den Männern, als befinde sich der Bläser unmittelbar neben ihnen. In regelmäßigen Abständen von etwa zehn Schritten warteten drei weitere Männer. Sie gaben ein Handzeichen, auf das Lorenz nur mit einem Kopfnicken antwortete.
    Eugen fragte sich, ob hier irgendjemand auch nur halb so nervös war wie er. Die Jagden, die er miterlebt hatte, waren an den Fingern einer Hand abzuzählen, und bisher hatte er noch nie an einer Vorstehjagd teilgenommen. Dabei blickte man nicht den von den Treibern aufgescheuchten Tieren entgegen, sondern stellte sich ausgerechnet so auf, dass man dem Wild den Rücken zuwandte – ihm kam das vor wie eine besonders idiotische Form einer Mutprobe, auf die er gerne verzichtet hätte. Die Schützen standen, weitgehend versteckt hinter Gebüsch und Unterholz, an drei Seiten des Waldstücks, während die Treiber von der vierten Seite her Druck auf die Tiere machten. Um die anderen Schützen nicht zu gefährden, wurde nicht in das Treiben hineingeschossen, sondern gewartet, bis das Wild die Schützenlinie durchkreuzt hatte. So gesehen war es unmöglich, die Hunde oder die Treiber zu treffen, doch das würde Eugen erst glauben, wenn die Jagd vorüber war.
    Wieder riss er das Gewehr hoch. Lorenz schlug es ihm einen Sekundenbruchteil später aus der Hand. Eugen schluckte und hob es vom trockenen Waldboden auf, dieses Mal darauf bedacht, es nicht anzuheben. Von dem Mann links von ihnen klang unterdrücktes Lachen herüber.
    Das Hundegebell begann in der Ferne wie das dumpfe Brodeln eines Sumpfes. Dann näherte es sich mit so unglaublicher Geschwindigkeit, dass fantasiebegabte Naturen den Eindruck bekommen konnten, jemand habe ein Tor zur Hölle aufgestoßen. Es klang, als würden sich die Bestien gegenseitig auffressen. Eugen liebte Hunde, aber …
    Er sah hinter sich, während Lorenz den Blick starr geradeaus gerichtet hatte.
    „Warum“, setzte er an, „warum können wir dem Wild nicht entgegensehen und … uns erst dann drehen, wenn es zwischen uns hindurchläuft?“
    „Warum? Warum können wir nicht einfach umkehren, wenn der Tag unseres Todes kommt, und den Weg bis zu unserer Geburt in umgekehrter Richtung zurückgehen und dann immer hin und her, hin und her, bis in alle Ewigkeit?“, lautete die Erwiderung. Als Eugen betreten schwieg, fügte Lorenz etwas versöhnlicher hinzu: „Lausche auf das Krachen von Unterholz, dann weißt du früh genug, wann sie kommen. Und dann – aber erst dann – reiße dein verfluchtes Gewehr hoch!“
    Die Hunde bellten überlaut. Eugen war sicher, dass man das Wild nicht hören würde, auch wenn es das ganze Gebüsch zerfetzte. Würden die Wildschweine sie nicht angreifen? Würden sie in ihrer wilden Flucht die Menschen nicht wenigstens übersehen, die in ihrer Jagdkleidung beinahe unsichtbar waren? Er dachte an den verstaubten Eberskopf, der im Rauchsalon seines Onkels hing. Schon den ganzen Tag und die ganze Nacht davor gingen ihm diese gelben Hauer nicht aus dem Kopf, die mühelos durch seinen Bauch hindurch passen und noch ein Stück herausragen würden. Seine
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