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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Autoren: Martin Clauß
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Mutter hatte ihm schon als Kind die Furcht vor den Wildtieren eingepflanzt, denn ihr Großvater war von einem Hirsch getötet worden. Jetzt wünschte sich Eugen nichts mehr als dass sie auf diese Art von Belehrung verzichtet hätte.
    Er setzte sich über Lorenz’ Befehl hinweg und wandte sich dem Stück des Waldes entgegen, das gleich von den Leibern der Tiere überkochen würde. Kurze Zeit lag es noch friedlich vor ihm. Als plötzlich ein einzelner pechschwarzer Keiler aus einer dichten Baumgruppe hervorpreschte, war er erschrocken und enttäuscht zu gleich. Erschrocken, weil das Tier, nachdem es sich einen kurzen Moment parallel zu ihrer Reihe bewegt hatte, jäh seine Richtung änderte und genau auf ihn zugelaufen kam. Enttäuscht, weil der Wald nicht kochte. Ein paar Vögel flatterten. Abgesehen von den gefiederten Gesellen schien das Schwein das einzige Tier zu sein, das die Treibjagd aufgescheucht hatte.
    Lorenz stand neben ihm wie eine Statue, die anderen Schützen ebenso. Die Versuchung, auf das Schwein anzulegen und abzudrücken, ehe es ihn erreichte, wurde übermächtig in Eugen. Es lief so schnurgerade auf ihn zu, dass vermutlich selbst er es nicht verfehlt hätte. Diese Hauer standen jenen im Rauchsalon seines Onkels in nichts nach. Und die Augen waren keine lächerlichen Glasmurmeln, sondern gelbe Kugeln aus Fleisch und Blut, in denen echte, lebendige Wut blitzte. Viel weiter hinten, in einer kleinen Schneise im Wald, wurden nun Hunde und Menschen sichtbar, aber er interessierte sich nicht für sie.
    „Gott im Himmel“, stieß Eugen flüsternd hervor und drehte dem Ungeheuer den Rücken zu. Ein Signal erscholl – das Zeichen für die Treiber, einzuhalten. Zwei endlose Sekunden später jagte der borstige Leib an ihm vorbei. Schnaubend. Knurrend. Kurz darauf folgte dem Tier eine Wolke stinkender Luft. Eugen legte an und drückte fast gleichzeitig ab, ehe das Tier sich zu weit entfernen konnte. Er bekam nicht einmal mit, ob er den schwarzen Körper wirklich im Visier hatte. Ein zweiter Knall war zu hören – einer der anderen hatte ebenfalls geschossen, kurz nach ihm.
    Das Wildschwein zuckte und überschlug sich. Es tat es mit leichter Verzögerung, und Eugen war überzeugt, dass es nur eines bedeuten konnte: Der andere Schütze hatte es erwischt!
    Niemand rührte sich, niemand sagte etwas. Die Hunde bellten womöglich noch lauter als zuvor, und das Jägerhorn gab das „Hahn in Ruh“-Signal, das die Jagd beendete. Erst jetzt kam Bewegung in die Schützen, und Stimmen wurden laut. Sie öffneten ihre Flinten, wie es die Regel vorschrieb.
    Als die Meute herangeprescht kam, biss der Keiler noch um sich, schnappte nach den Beinen der Hunde, die sich erregt dem Tier näherten. Doch seine Bewegungen wurden rasch schwächer, schwerfälliger, und der Zorn in seinen Augen machte der großen, letzten Gleichgültigkeit Platz. Ein Hund, der den blutüberströmten Leib mit den Vorderbeinen zu besteigen versuchte, bekam noch einen Schrecken, als das Schwein ein allerletztes Mal mit der Schnauze nach ihm ruckte und seinen Bauch mit den Spitzen der Eckzähne berührte, dann war es vorüber. Der Hund blieb unverletzt und beschnüffelte aufgeregt seinen Bauch, der um ein Haar aufgeschlitzt worden wäre. Seine Pfoten waren rot vom Schweiß des Schweins.
    Die Treiber kamen heran und versammelten sich mit den Schützen.
    „Was für ein Reinfall“, rief ein fülliger kleiner Mann mit einem eindrucksvollen Riechorgan und einer breiten, herabhängenden Unterlippe. „Zwei Dutzend Jäger für einen einsamen Keiler.“
    „Uns ist heute schon eine Rotte vor die Flinten gelaufen“, bemerkte ein anderer lachend. „Irgendwann musste das Jagdglück ja nachlassen. Wenn ihr mich fragt – wir sollten es für heute gut sein lassen.“
    „Das entscheidet immer noch der Baron.“
    Lorenz winkte ab. „Du hast vollkommen recht, mein Lieber. Der Wald ist erschöpft, und wir sind es auch. Oder weilt noch jemand unter uns, der unter allen Umständen weitermachen möchte?“
    „Hier!“, schrie einer der Treiber heiser. Er kam den anderen langsam hinterhergehumpelt. Es war Hubert, ein achtzigjähriger Greis, mit Abstand der älteste unter ihnen. Die Gruppe brach in Gelächter aus. Hubert war immer für einen Scherz gut. Auch Lorenz schmunzelte und schüttelte den Kopf über den Alten, der einfach nicht ernst sein konnte. Unterdessen schlenderte er zu dem erlegten Keiler hinüber. „Komm schon, Eugen, und sieh dir aus der Nähe an, was
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